In der Süddeutschen Zeitung vom 23.05.2008 habe ich gerade den Artikel Sehr geehrte Bildungsminister! von Tanjev Schultz gelesen. Es geht darin um einen fiktiven Brief von Wilhelm von Humboldt an die Kultusminister, die sich ja immer wieder gerne auf unseren “ersten Bildungsbeauftragten” beziehen. Man findet in dem Artikel interessante Stellen: “Viele Schulen wirken auf mich wie Lernfabriken aus den frühen Tagen der Industriegesellschaft. (…) Sie testen Zehnjährige? (…) Sind Sie noch bei Trost? (…) Ich glaube zwar nicht, dass es ausreicht, einfach mehr Geld in die Schulen und Universitäten zu stecken. Aber dass Sie, gemessen am Reichtum Ihrer Gesellschaft, zu wenig für die Bildung ausgeben, das wissen Sie doch selber.” Natürlich wissen wir alle längst um die hier genannten Punkte, dennoch ist es gut, wenn man die Bedeutung des Bildungssystems für die wissensbasierte Gesellschaft immer wieder herausstellt. Denn eines dürfte deutlich sein: Unsere Politiker haben es noch nicht verstanden – möglicherweise wollen sie es ja gar nicht verstehen…
Krüger-Charlé, M. (2007): Zeitdiagnose Wissensgesellschaft
In dem Artikel Krüger-Charlé, Markus (2007): Zeitdiagnose Wissensgesellschaft: Überlegungen zur Rekonstruktion eines öffentlichen Diskurses. In: Institut Arbeit und Technik: Jahrbuch 2007 geht der Autor zunächst auf die interessanten historischen Wurzel des Konstruks “Wissensgesellschaft” ein. Anschließend wird dargelegt, welche Anforderungen sich daraus ableiten lassen. Unter der Überschrift Subjektivierung des Sozialen wird folgendes angemerkt (Seite 3): “Das individualisierungstheoretische und das sozialisationstheoretische Subjektverständnis erweisen sich, wie man rückblickend konstatieren kann, nicht nur als anschlussfähig, sondern in vielem sogar als richtungsweisend für den Diskurs über einen wissensgesellschaftlichen Wandel, der sich in den 1990er Jahre von seinen Gründervätern zu emanzipieren begann.”
Exzellenzinitiativen für Ingenieure, Werkzeugmacher, Tischler?
In dem Essay Du bist Elite schreibt Detlef Gürtler heute in DIE WELT über die Vergeudung von Potenzialen in Deutschland. Neben einigen Allgemeinplätzen wie “Der entscheidende, der einzige Rohstoff, über den Deutschland verfügt, sind seine Menschen, und in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts” findet man auch differenziertere Beurteilungen: “Je besser Menschen in der Lage sind, ihre Einzigartigkeit zu entwickeln, ihre Besonderheit zu betonen, desto höher ihre Erträge und desto höher auch die Produktivität der Gesellschaft.” Es wird deutlich, dass die wissensbasierte Gesellschaft nicht nur Akademiker braucht, sondern die Potenziale auf allen Ebenen erschlossen werden sollten. Dazu gehört auch eine entsprechende Entlohnung. In Deutschland werden immer noch die Leistungen (Wertschöpfungen), die direkt am Kunden erbracht werden (Verkäuferinnen, Pflegedienste, usw.) am schlechtesten bezahlt. Berechtigt fragt der Autor deshalb: “Aber wo sind die Exzelenzinitiativen für Ingenieure, für Werkzeugmacher, für Tischler?” Deutschland hat “einen immensen Nachhobedarf an Investitionen bei der Investition in Menschen, in Köpfe, in Humankapital.” Der Autor hat mit diesem Essay einen wichtigen Beitrag geliefert, da der Artikel die Elite-, bzw. Exzellenzdiskussion erweitert und auf die vielen unterschiedlichen Potenziale von Menschen verweist. Wie Sie als Leser meines Blog wissen, favorisiere ich die Multiple Intelligenzen Theorie, um die Potenziale von Menschen zu erschließen. Es scheint der richtige Weg zu sein …
Bernd Graff: Web 0.0 – Die neuen Idiotae
Der Autor hat in seinem Artikel Web 0.0 – Die neuen Idiotae (Süddeutsche Zeitung vom 07.12.2007) sehr kritisch zu den aktuellen Entwicklungen im Netz Stellung bezogen: “Das Internet verkommt zu einem Debattierklub von Anonymen, Ahnungslosen und Denunzianten. Ein Plädoyer für eine Wissensgesellschaft mit Verantwortung.” In einzelnen Teilen kann ich Bernd Graff zustimmen, da es scheinbar auf die Qualität von Informationen kaum mehr ankommt. Die daraus folgende Frage nach der Qualität von Wissen wird allerdings in dem Beitrag nicht beantwortet. Welches Verständnis von “Wissen” hat der Autor? Hier einige Hinweise von Geiger (2006, zitiert in Heisig 2007):
(1) „Wissen ist immer originär sprachlich verfasst, (…). Außerhalb von Sprache kann es kein Wissen geben!
(2) Wissen ist immer sozial konstruiert und bemisst seine Güte niemals an der mit einer wie auch immer gearteten außerhalb des Wissens liegenden Realität (…).
(3) Wissen muss immer ein sozial anerkanntes Prüfverfahren durchlaufen haben. (…)
(4) Wissen ist immer sozial, nie rein individuell. Da Wissen (…) einem sozial anerkannten Prüfverfahren genügen muss, kann nur eine Gemeinschaft über die Gültigkeit von Wissen entscheiden, nicht ein Individuum. Nur Gemeinschaften können sozusagen das Attribut Wissen verleihen.“
Liessmann, K. P. (2006): Theorie der Unbildung – Die Irrttümer der Wissensgesellschaft
Friedrich Scheuermann hat mich auf das Buch Liessmann (2006): Theorie der Unbildung aufmerksam gemacht. Darin setzt sich der Autor kritisch mit den Irrtümern der Wissensgesellschaft auseinander. In der Beschreibung heißt es: “In seinem hochaktuellen Buch entlarvt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann vieles, was unter dem Titel Wissensgesellschaft propagiert wird, als rhetorische Geste: Weniger um die Idee von Bildung gehe es dabei, als um handfeste politische und ökonomische Interessen. Eine fesselnde Streitschrift wider den Ungeist der Zeit.” Es ist gut, wenn das Thema kritisch betrachtet wird, gerade wenn es um den Zusammenhang von Wissen und Bildung geht. In meinen verschiedenen Blogbeiträgen habe ich immer wieder darauf hingewiesen (Blogbeiträge Wissensmanagement). Dennoch gibt es auch Kritik an dem Buch. Auf der entsprechenden Amazon-Website schreibt Ewald Judt in seiner Rezension: ” Alles in allem ist die Theorie der Unbildung” ein geisteswissenschaftliches Werk, das brillant-polemisch geschrieben und mit Vergnügen zu lesen ist, ohne jedoch Alternativen aufzuzeigen, wie sich Wissen in einem Bildungssystem angesichts von Datenmengen und einer Informationsflut leistbar weiterentwickeln kann.” Lassen Sie uns also nach Lösungen suchen …
Seit dem XV. Parteitag der KP 1997 soll China eine Wissensgesellschaft werden
Diesen Satz habe ich in dem Beitrag Ein Land sucht Sinn (DIE ZEIT vom 22.02.2007) gelesen und mir verwundert die Augen gerieben. Ist China nicht die immer und immer wieder in den Medien dargestellte “verlängerte Werkbank” der sogenannten Industrienationen? Nein, nicht nur. Die von den meisten Europäern genutzten Medien stellen ein Chinabild dar, das nur bedingt der Wirklichkeit entspricht und einseitig ist. Natürlich gibt es die Montagehallen für lohnintensive Fertigungen. Andererseits gibt es aber auch das China, das Cluster für Mass Customization bildet (gemeinsam mit der HKUST, Gastgeber der ersten MCP-Weltkonferenz in 2001, und der dritten MCP-Weltkonferenz in 2005 ) und sich an einer stärker wissensbasierten Gesellschaft orientiert. In dem oben erwähnten Beitrag findet man Hinweise wie “(…) neue Hochschätzung von Bildung und Erziehung” oder “100 Universitäten sollen mit Geld vom Staat Weltniveau erreichen”. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Indien … An dieser Stelle sei mir ein wenig Eigenwerbung erlaubt. Zwei meiner Konferenzbeiträge sind auch in Indien veröffentlicht worden:
Freund R.; Piotrowski M. (2005): Intellectual Capital Statement – Made in Germany – and Mass Customization. The Magnus Journal of Management, Vol. 1 No. 4, December 2005, Hyderabad, India
Freund R.; Piotrowski M. (2005): Mass Customization and Personalization In Adult Education and Training. In: Mass Customization. Concepts and Applications (editor Shyam Sunder Kambhammettu), Le Magnus University Press, Hyderabad, India
Meine Paper (viele als Download) finden Sie hier
Der neue Wert des Wissens
Am Sonntagvormittag genieße ich es, viele verschiedene Zeitungen zu lesen. In der Printversion der Welt am Sonntag hat mich heute ein Artikel von Alexander Kluy mit dem Titel Der neue Wert des Wissens sehr interessiert. Seltsamerweise ist der Titel in der Onlineversion ein anderer Wie sinnvoll ist das Lernen? Spannend ist der Artikel unter anderem deshalb, weil er viele Autoren nennt, die sehr kritisch mit den Begriffen Wissensgesellschaft, Wissensarbeit, Wissensbilanz, Bildung usw. umgehen. Dem Autor gelingt es, die verschiedenen Perspektiven so zusammenzustellen, dass man sich gleich die verschiedenen Bücher besorgen möchte, um sich seine eigene Meinung dazu zu bilden. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Sichtweisen auszuloten, denn viele Perspektiven sind zur Zeit eher technologisch, ökonomisch, aber wenige soziologisch geprägt. Es gibt noch viel zu tun… . Möglicherweise interessiert Sie dazu auch mein Blogbeitrag vom 25.01.2007.
Schleicher (2006): The economic of knowledge: Why education is key for Europe´s success
In seinem Paper stellt Schleicher (noch einmal) den Zusammenhang zwischen Bildung und wirtschaftlichen Erfolg dar. Vielen ist das bekannt, dennoch ist vielen nicht bewusst, dass Bildung in der Wissensgesellschaft etwas anderes ist als Bildung in der Industriegesellschaft.