Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftssoziologie sind vielen Führungskräften wenig bekannt

In unserem Blog habe ich schon des Öfteren darüber geschrieben, dass das traditionelle Management alles messbar machen will. Wenn es dann nicht messbar ist, wird es eben messbar gemacht. Diese Mechanisierung des Weltbildes löst sich allerdings auf. Heute geht es eher darum, mit Unschärfe und Unsicherheit umzugehen. Da treffen nun allerdings zwei ganz unterschiedliche Entwicklungen aufeinander.

“Führungskräfte kommen häufig aus der Betriebswirtschaftslehre, der Naturwissenschaft, der Rechtswissenschaft oder dem Ingenieurwesen. Dort ist Wirtschaftspsychologie wenig bekannt. Wenn sie sich überhaupt mit dem Thema Mensch und seinem Verhalten befasst haben, dann folgen sie meist recht einfachen, mechanistischen Modellen. Auch späteres Training kann dafür bestenfalls sensibilisieren. Wer sein Verhalten gegenüber Menschen verbessern will, braucht viel Zeit. Jährlich zwei dreitägige Trainings reichen dafür nicht aus. Die Führungskraft muss ihr Mindset ändern. Viele Führungskräfte betrachten ihre Mitarbeiter nach wie vor als Humanressource. Man kann gemäß dieser Überlegung aus Mitarbeitern irgendwie Arbeitsleistung und Motivation ´herausschälen´ – und der ganze Rest gehört ins Private, das die Führungskräfte nichts angeht. Unsere Diskussion der Grundbedürfnisse dürfte zeigen, dass dieses Kalkül nicht aufgeht. Beim Change haben wir es mit dem ganzen Menschen zu tun, nicht nur mit einer Arbeitskraft” (Prof. Rüdiger Reinhart in einem Interview mit Oliver Steeger in Projektmanagement Aktuell Ausgabe 32. Jahrgang 2021, 02/2021 S. 12-16).

An dieser Stelle möchte ich ergänzen, dass Ungewissheit, Uneindeutigkeit und Unsicherheit als Befund soziologischer Diagnosen sind. Der Strukturbruch zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung wurde schon vor vielen Jahren thematisiert und beschrieben/veröffentlicht. Es ist schade, dass diese Erkenntnisse wenig beachtet wurden, obwohl sie vieles vorweggenommen haben, was heute als modernes Management “verkauft” wird.

Siehe dazu auch Die neue Wirtschaftssoziologie oder Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Wirtschaftliches Handeln – Soziales Handeln: Eine interessante Beziehung.

Wirtschaft auf der einen Seite, und Soziales auf der anderen Seite. Dieses Bild vom “Entweder-oder” wird oft bemüht, als hätten diese beiden Hemisphären gar nichts (oder wenig) miteinander zu tun. Es dominiert häufig die wirtschaftliche Sicht über die eher soziale Perspektive. In den 1960er Jahren war die Soziale Marktwirtschaft ein Erfolgsrezept, das allerdings in den darauf folgenden Jahrzehnten vom Primat der Wirtschaft abgelöst wurde.

In den letzten Jahren haben gerade Entrepreneure gezeigt, dass Wirtschaft und Soziales durchaus für alle Seiten gewinnbringend kombiniert werden kann. Dieser hybride Ansatz ist deshalb zeitgemäß, da er eine Passung zu den Lebenswelten hat, die in der Zwischenzeit Realitäten sind. Noch einen Schritt weiter geht die “neue” Wirtschaftsoziologie. In Becker/Deutschland (2010:10-11) findet sich dazu folgender Hinweis:

“Die Krise des neoklassischen Paradigmas markiert eine Zäsur nicht nur in der Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften selbst, sondern bietet auch neue Ansatzpunkte für die Wirtschaftssoziologie. Denn jetzt spielt die Kontingenz der Handlungssituation auch in den Wirtschaftswissenschaften eine entscheidende Rolle. Damit geraten Institutionen, soziale Normen und „mentale Modelle“ in den Blick, also soziale Makrostrukturen, mit denen Soziologen vertraut sind. Wirtschaftliches Handeln als soziales Handeln und nicht länger nur als sozial ´kontextualisiertes´ Handeln zu begreifen, ist der Kern des Programms der sogenannten „neuen“ Wirtschaftssoziologie (Beckert), Fligstein, Granovetter, Swedberg, White u. a.): ´The bedrock assumption of the embeddedness approach is that social networks – built on kinship or friendship, trust or goodwill – sustain economic relations and institutions. The basic idea is as old as sociology itself, such as in Durkheim’s critique of Spencer – the existence and necessity of pre-contractual elements in contracts (Lie 2005).”

Es verwundert daher nicht, dass immer dann, wenn es in diesem Sinne komplex wird, Soziologen um eine Einschätzung gebeten werden. Leider entspricht die allgemeine Wertschätzung der Soziologen (und der Soziologie) nicht dem Stellenwert, den sie in der heutigen Zeit haben sollte. Möglicherweise ändert sich da etwas mit der “neuen” Wirtschaftssoziologie.

Von sozialen Interaktionen überraschend profitieren

unexpectedEs ist schon eine Binsenweisheit, dass Unternehmen vom Social Media Tools profitieren können. Traditionelle Unternehmen sehen darin hauptsächlich Kostenvorteile, doch das ist bei weitem nicht alles. Unternehmen, die schon etwas weiter sind haben verstanden, dass man seinen Innovationsprozess damit öffnen kann, um neue Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln (Open Innovation). Letztendlich aber, gehen die Vorteile von Social Media noch weiter: Durch die stärkere soziale Interaktion der verschiedenen Beteiligten in Netzwerken, können Potenziale erschlossen werden, die nicht so einfach planbar sind. Was heisst das? In der McKinsey-Studie Transforming the business through social tools (Januar 2015) wird deutlich, dass es bei intensiven sozialen Interaktionen zu überraschenden (positiven) Effekten kommt, die vorher so nicht gesehen wurden. Gerade diese aus den Interaktionen selbst entstehenden Effekte sind es, die besondere Innovationen hervorbringen. Spannend ist dabei, dass in dem McKinsey-Artikel sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Themebereich nicht erwähnt werden. Immerhin sind lose Kopplungen (Granovetter: Weak Ties) Bestandteil solcher Interaktionen, die dann auch noch eingebettet sind (Embeddedness). Eine so verstandene moderne neue Wirtschaftssoziologie kann viele Anregungen für das Management geben (z.B.: Embedded Open Innovation). Doch wer will das schon? Siehe dazu auch Wirtschaft und Soziologie: Passt das zusammen?

Wirtschaft und Soziologie: Passt das zusammen?

Couple Working in Homeless ShelterWie Sie als Leser unseres Blog wissen, interessiert mich die Frage, wie wirtschaftliche als auch soziologische Aspekte in Organisationen berücksichtigt werden können. Siehe dazu beispielsweise den Beitrag Wirtschaftssoziologie: Wirtschaftliches Handeln als soziales Handeln verstehen. Bei der Beantwortung der daraus resultierenden Fragen, spielt die neue Wirtschaftssoziologie eine wichtige Rolle. Der Artikel Bögenhold, D. (2013): Soziologie und Ökonomik: Betrachtungen über Konvergenzen und Divergenzen stellt die aktuelle Diskussion dar und sieht durchaus auch Konvergenzen.

(Wirtschafts-)Soziologie sollte empirisch und strategisch weitere Forschungsthemenfelder für sich reklamieren und bearbeiten, an denen der Link zwischen Ökonomik und Fragen von sozialer Organisation von Relevanz erscheint. Die skizzierten Entwicklungen zwischen der Ökonomik und der Soziologie sowie die beobachteten weiteren Veränderungen in den einzelnen Fächern selber indizieren auch soziologische Opportunities, die als solche erkannt werden müssen, um sie dann aktiv intellektuell zu verwerten. Aus den geschilderten Konvergenzen resultieren eine Reihe von Chancen, die Herausforderungen für die Sozialökonomik darstellen. Die Liste interessanter Themen ist definitiv lang und potentiell unbeschränkt.

Wirtschaftssoziologie: Wirtschaftliches Handeln als soziales Handeln verstehen

Der Deutungsanspruch der ökonomischen Theorien wurde bisher in Deutschland größtenteils als gegeben hingenommen. Es bewegt sich allerdings etwas: „A number of authors have recently argued that the neoclassic paradigm – involving its core concepts of rationality and equilibrium – is no longer dominant within mainstream economics, and it has been replaced by a variety of different approaches” (Hodgson 2007: 11, zitiert in Beckert/Deutschmann 2010:10). Nur war bisher nicht ganz klar, was unter der neuen Wirtschftssoziologie zu verstehen ist. Beckert/Deutschmann (2010:11) formulieren es so: “Wirtschaftliches Handeln als soziales Handeln und nicht länger nur als sozial ´kontextualisiertes´ Handeln zu begreifen, ist der Kern des Programms der sogenannten ´neuen´ Wirtschaftssoziologie (Beckert, Fligstein, Granovetter, Swedberg, White u. a.).” Soziales Handeln mit seiner komplexen Interaktion (Kontingenz – Doppelte Kontingenz) zu verstehen und zu nutzen, wird somit zu einer wichtigen Aufgabe in Unternehmen. Allerings sind die vielen Manager darauf (noch) nicht vorbereitet …

Quellen:

Beckert, J.; Deutschmann, C. (2010): Neue Herausforderungen der Wirtschaftssoziologie. In: Beckert, J.; Deutschmann, C. (Hrsg.) (2010): Wirtschaftssoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7-21.

Hodgson, G. M. (2007): Evolutionary and institutional economics as the new mainstream? Evolutionary and Institutional Economics Review 4: 7-25.

Kommt es zu einer Entgrenzung wirtschaftswissenschaftlicher Theorien?

DIE ZEIT hat in der Ausgabe vom 12.05.2010 unter dem Titel “Gier frisst Verantwortung” (Uwe Jean Heuser, S. 53) zwei wichtige Bücher zur aktuellen Krise vorgestellt. Es handelt sich um Stiglitz, J. E. (2010): Im freien Fall und um Roubini/Mihm (2010): Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft. Die große Bekanntheit der Autoren lässt auf neue Erkenntnisse hoffen. Der ZEIT-Artikel stellt beide Bücher sehr gut gegenüber.  Interessanterweise findet sich auf der genannten Seite auch ein Hinweis auf Schmidt, S. (2010): Markt ohne Moral. Gerade in Zeiten des Booms hat man im Finanzsystem keine Moral gekannt. Jetzt, da viele Wetten geplatzt sind, wird wieder von Moral gesprochen. Wer weiß wie lange noch. Die Krise an den Finanzmärkten hat gezeigt, dass die allseits beliebten Pole (Markt-Staat, Gewinn-Moral, Arbeit-Freizeit, usw.) nicht mehr gelten. Es kommt zu einer Entgrenzung der jeweiligen Positionen (Dichotomien) und somit eher zu vielfältigen Optionen in einer globalisierten Welt. China z.B. zeigt, dass man in einem “politisch-totalitären” System, marktwirtschaftliche Strukturen ermöglichen kann. In Europa und in den USA reden sogar Politiker, die eher “rechts” stehen, von staatlichen Eingriffen in das ach so hoch gelobte marktwirtschaftliche System. Die Theorie der reflexiven Modernisierung kann Hinweise darauf geben, wie diese Entwicklungen zu erklären sind. Interessanterweise kommen die guten Ansätze weniger aus den Wirtschaftswissenschaften, sondern eher aus der Soziologie. Viele Soziologen finden allerdings nach ihrem Studium kaum eine Anstellung (im Gegensatz zu BWLer…). Es wäre gut, wenn Politiker/Banker usw. einmal mit Geisteswissenschaftlern reden würden. Es ist kein Wunder, dass die Wirtschaftssoziologie in den letzten Jahren immer stärker beachtet wird (Smelser, Swedberg,…).