Die Reflexivität von Transaktionskosten und Innovationen am Beispiel von “Patient Innovation”

Screenshot von der Website https://patient-innovation.com

Wo kommt der Begriff “Transaktionskosten” überhaupt her? In meinem Blogbeitrag Brauchen wir Unternehmen? vom 15.12.2015 bin ich schon einmal darauf eingegangen, dass der Begriff auf Ronald Coase zurückgeht, der 1937 in seinem Artikel “The Nature of the Firm” erläuterte, warum wir Unternehmen benötigen. Die Antwort war schlüssig:

Die Transaktionskosten in Unternehmen waren eben günstiger als die Kosten, die außerhalb eines Unternehmens nötig waren, um eine Leistung zu erbringen. 

Dieser Ansatz hat sich auch Jahrzehnte als durchaus erfolgreich herausgestellt. Dabei kam den Unternehmen zugute, dass die Möglichkeiten der allgemeinen Digitalisierung in den Unternehmen und auch im Kundenkontakt intensiv genutzt wurden. Kunden können beispielsweise ihre Bankgeschäfte selbst durchführen, selbst online einchecken usw. Hinzu kommen noch die Möglichkeiten des 3D-Drucks (Additive Manufacturing) und jetzt auch noch der Künstlichen Intelligenz. Alles wurde und wird genutzt, um Transaktionskosten im Unternehmen stark zu reduzieren. Oftmals zugunsten einer besseren Gewinnmarge, weniger zum Nutzen ihrer Kunden.

Auf der anderen Seite merkt der Kunde oder User, dass er viele Transaktionen selbst durchführt und seine Bedürfnisse nicht wirklich von den Unternehmen befriedigt werden. Diese Kunden, Nutzer oder User erhalten also oftmals immer noch nicht den Value (Wert, Mehrwert), den alle seit den Zeiten von Marketing, Qualitätsmanagement, Innovationsmanagement und Agilem Projektmanagement etc. versprechen.

Was machen daher immer mehr User? Na ja, wenn sie schon vieles selbst machen sollen und die digitalen Tools sehr günstig zur Verfügung stehen (Open Source, 3D-Druck usw.) können sie ihre benötigten Dienstleistungen und Produkte auch gleich selbst designen, entwickeln und herstellen (User Innovation).

Ein Paradebeispiel für diese gesamte Entwicklung ist die Plattform Patient Innovation (Patienten-Innovation), deren Entwicklung ich auf den verschiedenen Weltkonferenzen verfolgen konnte. Die Initiative hat 2016 den Health Care Startup Award als Non-Profit Startup of the Year erhalten. Zunächst waren da medizinische Problemlösungen, von einzelnen Personen, da keine Lösungen (Dienstleistungen, Produkte) von Unternehmen angeboten wurden (Lohnt sich nicht / Break Even). Dann kamen die ersten eigenen Problemlösungen auf eine Plattform, die sich in der Zwischenzeit weltweiter Beliebtheit erfreut. Bitte schauen Sie sich auf der angegebenen Seite um.

Der Vorteil der immer stärker sinkenden Transaktionskosten in Unternehmen schlägt also auf die Unternehmen zurück – ist in diesem Sinne reflexiv. Ähnlich sieht es auch bei Innovationen aus. Künstliche Intelligenz mit ihren Möglichkeiten kann in Unternehmen für Innovationen genutzt werden, – und auch von einzelnen Usern, die für Ideen und Innovationen möglicherweise nicht immer Unternehmen mit den jeweiligen Strukturen benötigen. Eric von Hippel vom MIT hat das treffend “Democratizing Innovation” bzw. “Free Innovation” genannt. Siehe dazu auch

> Reflexive Modernisierung
> Von Democratizing Innovation zu Free Innovation
> Eric von Hippel (2017): Free Innovation
> 3D-Druck als reflexive Innovation?
> Freund, R.; Chatzopoulos, C.; Lalic, D. (2011): Reflexive Open Innovation in Central Europe. 4th International Conference for Entrepreneurship, Innovation, and Regional Development (ICEIRD2011), 05.-07. May

Vom Wissen als Besitz zum Wissen als Prozess

Wenn wir von Wissen sprechen oder schreiben ist oft unklar, um welchen Begriff es hier wirklich geht. Bei Arnold (2017) habe ich dazu eine erste Hilfestellung gefunden. arnold schlägt vor, vom Wissen als Besitz zu einem Wissen als Prozess überzugehen.

Oft wird Wissen immer noch zu sehr als Besitz verstanden (Typ A), der eher als material, explizit und passiv charakterisiert werden kann. Daran schließt sich ein Wissensumgang an, bei dem es eher als Aneignung und Teilung des vorhandenen bzw. notwendigen Wissens geht.

Versteht man Wissen eher als Prozess (Typ B), sind es die Aspekte reflexiv, implizit und aktiv, die charakteristisch sind. Daraus leitet sich dann auch der Wissensumgang ab, der Befähigung zur Teilhabe an der Mitgestaltung des Wissens bedeutet.

Die folgende Tabelle fasst alles noch einmal übersichtlich zusammen.

Vom Wissen als Besitz
(Typ A) >
zum Wissen als Prozess
(Typ B)
Aspektematerial
explizit
passiv
reflexiv
implizit
aktiv
Wissens-
umgang
Wissensumgang als Aneignung
und „Teilung“ des vorhandenen bzw. notwendigen Wissens
Wissensumgang als
Befähigung zur Teilhabe an der Mitgestaltung des Wissens
Quelle: Arnold (2017)

Siehe dazu auch Der Strukturbruch zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung, oder auch Implizites sollte in Organisationen stärker beachtet werden.

Welche Wissenschaften können Soziale Komplexität besonders gut beschreiben?

Der Begriff “Komplexität” wird überall thematisiert, wenn es um die Beschreibung des veränderten Umfelds (VUCA), um die Unterscheidung zu “Kompliziert”, usw. geht. Doch wenn man sich genauer damit beschäftigt, geht es hauptsächlich um die Bewältigung von Komplexität in sozialen Systemen – wie z.B. Organisationen / Unternehmen. Siehe dazu auch Unternehmen als sozialer Organismus – Unsinn, oder? oder Was macht eine menschlich-soziale Selbstorganisation aus? Diese Hinweise deuten schon an, dass es durchaus Sinn machen kann, u.a. bei den Sozialwissenschaften nach Bewältigungsstrategien für die Soziale Komplexität zu suchen.

“Soziale Komplexität schließt die Perspektive der ersten Person ein. Subjektive Erfahrung ist eine unverzichtbare Dimension sozialer Formationen. Systemisches Denken setzt die Berücksichtigung der sozioökonomischen, historischen Situiertheit des menschlichen Handelns im jeweiligen Kontext voraus. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind daher besonders gut geeignet, (1) die Entwicklung sozialer Komplexität zu beschreiben und (2) das gesellschaftliche Schema, innerhalb dessen die Sinngebung erfolgt, neu zu gestalten. Dadurch steuern sie normative Leitlinien für wünschenswerte Veränderungen bei, indem sie die komplexe Verflechtung verschiedener normativer Sphären (von der individuellen zur kollektiven Ebene und umgekehrt) untersuchen. Soziale Komplexität hat eine zirkuläre Struktur, die einer Rückkopplungsschleife. Im Zentrum dieser Struktur steht das menschliche Werden, das in natürliche und soziale Gegebenheiten eingebunden ist, auf die es einerseits Einfluss nimmt und von denen es andererseits beeinflusst wird. Die Geistes- und Sozialwissenschaften können Instrumente zur Bewältigung von Komplexität entwickeln. Sie können zukunftsorientiert sein, indem sie realistische Utopien und Modelle für einen sozialen Wandel zum Positiven hin entwerfen, die die nichtreduzierbare Komplexität und Kontingenz unserer individuellen und kollektiven Wertorientierung respektieren” (Gabriel et al (2022:66): Auf dem Weg zu einer Neuen Aufklärung – Ein Plädoyer für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften.

Betrachten wir das Vorgehen im Umgang mit Sozialer Komplexität in Gesellschaft und Organisationen, so wird deutlich, dass der Fokus oft auf der Technologie liegt > Technologie first. Dann kommt die Organisation und irgendwann der Mensch. Gut, diese einfache Wirkungskette wird der komplexen Situation nicht gerecht. Dennoch ist etwas an diesem Bild irritierend: Es ist ein Mindset (oder besser: ein Mantra), das durchaus in den Unternehmen anzutreffen ist. Es wird auch hier deutlich, dass wir die Deutung und Bewältigung der aktuellen Krisen nicht nur der Technik, den Naturwissenschaften oder der Wirtschaft überlassen sollten.

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