Jugaad: Eine indische Variante von Improvisation und Innovation

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Wir denken oft noch in den traditionellen Pfaden einer Welt, die sich allerdings turbulent wandelt. Traditionell gehen wir in vielen Bereichen unserer Gesellschaft davon aus, dass sich Infrastruktur, Energienetze, Kommunikationsnetze, Mobilitätsnetze, Soziale Netze usw. nur verwirklichen lassen, wenn die Politik und das ganz große Kapital solche Projekte umsetzen. Ein Beispiel auf globaler Ebene dafür ist die chinesische Belt and Road Initiative.

In Europa haben wir ähnliche Denkmuster (Top Down) entwickelt und verspielen möglicherweise die vielen Möglichkeiten von kleinen, persönlichen Verbesserungen und Innovationen (Bottom Up). Bezeichnend dafür ist, dass solche User Innovation gar nicht in den offiziellen Statistiken zu Innovationen auftauchen. Doch wie Eric von Hippel in vielen Studien aufgezeigt hat, gibt es diese Art von Verbesserungen und Innovationen in der Realität, im wirklichen Leben der Menschen. Siehe dazu beispielweise Eric von Hippel (2017): Free Innovation und Worin unterscheiden sich Business Innovation (formale Innovation) von Household Innovation (informelle Innovation)?

In einem anderen Kulturkreis, in Indien, wird die Improvisation im Alltäglichen als Jugaad bezeichnet. Dazu habe ich in einem aktuellen Artikel folgendes gefunden:

“Kaur (2016) informs that jugaad, a Punjabi word, popular across northern India, is a variation of the Hindi word jugat, itself derived from Sanskrit yukti, with roots in yog meaning union or joint. (…)

Jugaad is not limited to engagement of material infrastructure. It sits within the realm of the socio-cultural, with jugaadu people (improvisers) drawing on social, cultural, political and material resources to bend and twist unfavourable alignments into somewhat favourable ones. In many ways then, jugaad epitomises infrastructure: the subterranean, in the background and under the radar. (…)

Prabhu and Jain (2015), using several Indian examples like solar lighting solutions argue that jugaad leads to frugal, flexible and inclusive elements in ‘innovations’. They translate jugaad as frugal innovation. Radjou et al. (2012) frame this as jugaad Innovation.

Within the idea of jugaad, ‘formality/informality and legality/illegality work together’ (Narayanan, 2019, p. 13).”

Kumar, A. (2024): Jugaad Infrastructure: Minor infrastructure and the messy aesthetics of everyday life.

Der Autor verweist darauf, dass der Begriff “Jugaad Innovation” eher aus den einschlägigen Business Schools stammt, und wohl eher nicht den Kern von Jugaad im kulturellen Kontext beschreibt. Das ist deshalb interessant, da in den Erläuterungen zu Jugaad auf Wikipedia gerade der Bezug zu frugalen Innovationen und zu einer Art Managementtechnik hergestellt wird. Trifft der Wkipedia-Artikel hier möglicherweise nicht den Kern von Jugaad?

Dennoch kann ich mir vorstellen, dass aus Improvisation auch Innovationen entstehen können. Wichtig ist für beide, den Wert (Added Value) für den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen. Was wäre, wenn alle Menschen ihre alltäglichen (intelligenten) Problemlösungen anderen Menschen kostenfrei zur Verfügung stellen würden? Über die vielen Open-Source – und Open-Content – Initiativen wird das ja durchaus schon gemacht.

Künstliche Intelligenz kann jetzt darüber hinaus auch Treiber für Open User Innovation sein. Siehe dazu auch Frugale, soziale, technische und nicht-technische Innovationen und Frugale Innovationen: Ergebnisse einer europäischen Studie.

Auf der Learning World 2008 geht es auch um Open Innovation

learning-world-2008.jpgDie Learning World 2008 – der Learning Management Congress findet vom 19.-20.06.2008 in Berlin statt (Programmübersicht) Dabei ist mir ein Vortrag von Dr. Paul Lefere von der Open University (UK) aufgefallen: Open Content, Open Innovation: Social Drivers for Sharing and Excelling. Open Innovation in Lehr-/Lernumgebungen ist ein sehr spannendes Thema. Wie Sie wissen, habe ich in verschiedenen Veröffentlichungen auf Mass Customization in Education hingewiesen, u.a. in meinem Paper zur ElearnChina2003 usw.. Der Übergang von Mass Customization zu Open Innovation in Education ist daher nur konsequent. Wenn Lernen der Prozess und Wissen das Ergebnis ist (Willke 1998), dann kann Open Innovation zur Öffnung der Innovationsprozesse im Bildungsbereich und im Wissensmanagement genutzt werden. Aus meiner Sicht wird dieser Zusammenhang noch zu wenig thematisiert, und daher die Potenziale zu wenig genutzt.

Wird Open Education die Bildungslandschaft absehbar grundlegend verändern?

open-education-declaration.jpgDie Capetown Open Education Declaration (Deutsche Fassung) will das Potenzial von Open Educational Ressources (OER) realisieren. Wie schon in einem früheren Blogbeitrag erwähnt, hat die OECD im letzten Jahr auf folgendes hingeweisen: “The open educational resource (OER) movement aims to break down […] barriers and to encourage and enable freely sharing content.” Es ist somit nur konsequent, diese Potenziale besser zu erschließen. Dabei sollte immer wieder auf die Unterschiede zwischen Open Educational Ressources, Open Content, Open Education, Open Innovation usw. hingeweisen werden. In einigen Beiträgen vermischen sich die verschiedenen Themen so, dass man schon manchmal von Beliebigkeit sprechen kann. In der Deklaration wird die Idee Open Education wie folgt beschrieben: “Sie fördert den Zugang zu Technologie, unterstützt kollaboratives Lernen, und bietet darüber hinaus neue Möglichkeiten erlangtes Wissen zu prüfen, testen, und nachzuweisen. Es ist wichtig, die Vision von frei zugänglicher Bildung zu realisieren, zu verstehen und zu fördern. ´Open Education´ wird die bestehende Bildungslandschaft absehbar grundlegend verändern.” Letzteres kann man nur hoffen…

OECD (2007): Giving Knowledge For Free. The emergence of open educational resources

Laptop202.jpgDie OECD hat ein interessantes Paper Giving Knowledge For Free herausgegeben. Darin wird die enorme Bedeutung von Open Educational Resources (OER) herausgestellt: “The open educational resource (OER) movement aims to break down […] barriers and to encourage and enable freely sharing content.” Open Source, Open Content, Open Innovation, Open Culture usw. deuten schon auf die Erweiterung des Ermöglichungsraumes in vielen Bereichen hin. Ich verwende hier absichtlich den Begriff “ermöglichen”, da es in der heutigen Zeit darauf ankommt, Lernprozesse zu ermöglichen und nicht zu diktieren. Vom Lehren zum Lernen, vom Vermitteln zum Aneignen – eben von der Erzeugungsdidaktik zur Ermöglichungsdidaktik. Diese Überlegungen deuten schon darauf hin, dass der Titel nicht passend ist: Giving Knowledge For Free ist deshalb unglücklich, da man kein Wissen gibt, sondern zunächst Daten/Informationen, die dann beim Individuum, bzw. in Organisationen eine Wissenskonstruktion ermöglicht (Konstruktivismus). Der Unterschied sollte bei der Diskussion um die technologischen Möglichkeiten (ob Open Soure oder “Closed” Source) beachtet werden, wenn man über Wissen spricht (Siehe dazu auch den Blogbeitrag Kann man Wissen vermitteln?).