Warum braucht “Führung” heute sozialwissenschaftliche Expertise?

Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung kann als Strukturbruch zwischen Einfacher und Reflexiver Modernisierung gesehen werden. Bisher war Führung damit konfrontiert, Arbeit effektiv und effizient eher fremdorganisiert zu organisieren. Arbeit 4.0 ist allerdings viel stärker selbstorganisiert, und benötigt daher eine andere Art von Führung.

Selbstorganisation in komplexen sozialen Systemen (Organisationen) wird dabei oft auf technische und/oder ökonomische Dimensionen reduziert. Eine moderne Führung zeichnet sich in einer Reflexiven Modernisierung allerdings dadurch aus, dass Führung selbst reflexiv ist, und sozialwissenschaftliche Expertise erfordert.

“Ohne eine sozialwissenschaftliche Expertise kann eine solche selbstreflexive Führung auch in Lehr-Lern-Prozessen nicht gelingen. Soziale Systeme funktionieren nämlich nicht allein nach Maßgabe technisch-ökonomischer, sondern auch – und vielleicht sogar: vornehmlich – nach Maßgabe sozialer Mechanismen” (Arnold 2017).

Siehe dazu auch Vom Zwei-Welten-Modell von Führung zu einem Multiple-Welten-Modell von Führung? und Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftssoziologie sind vielen Führungskräften wenig bekannt.

Solche Zusammenhänge thematisieren wir auch in den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, die wir an verschiedenen Standorten anbieten. Informationen zu unseren Blended Learning Lehrgängen und zu aktuellen Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Was macht eine Firma zu einer Firma im Markt?

Die Frage, was eine Firma zu einer Firma im Markt macht, stellte Ronald Coase 1937 in seinem berühmten Aufsatz The Nature of the Firm (Linkhinweis von wissensdialogjournal – Danke). Er beantwortete die Frage ” (…) mit der Feststellung, dass es die Transaktionskosten seien: Die Kooperation zwischen den eine Firma konstituierenden Personen sei kostengünstiger als es eine Organisation der Produktion nur über den Markt sein könne“ (Gehring 2005:422).

Die Transaktionskosten haben sich allerdings in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen dramatisch reduziert und damit die Existenzgrundlage vieler Unternehmen verändert. Nehmen Sie nur einmal die Veränderungen in der Musik- und Medienbranche durch das Internet als Beispiel. Auch die Entwicklungen in den Bereichen Open Source und Open Innovation deuten auf ein anderes Verständnis von einem Unternehmen hin. Viele Unternehmen suchen nach Möglichkeiten, mit den veränderten Bedingungen umzugehen und antworten noch zu häufig mit klassischen Instrumenten der Industriegesellschaft (einfache Modernisierung, Reduktionismus). 

Es ist allerdings zu bedenken, dass wir uns in einer anderen Modernisierungphase mit anderen, neuen Denk- und Handlungsmuster befinden. In dieser reflexiven Modernisierung greifen die alten Muster nicht mehr. Wie würde Ronald Coase seine Frage heute aus der Perspektive der reflexiven Modernisierung beantworten?

Der Strukturbruch zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung

Wenn von Modernisierung gesprochen wird, handelt es sich häufig um die einfache Modernisierung, die sich seit dem 18. Jh. abzeichnet. Diese einfache Modernisierung geht von stetigem Fortschritt, Beherrschbarkeit der Natur usw. aus. Diese “Basisselbstverständlichkeiten” werden allerdings in letzter Zeit immer häufiger infrage gestellt. Viele Beobachter der Entwicklung sehen sogar einen Strukturbruch im Übergang zu einer etwas anderen Modernen – der reflexiven Modernisierung. Seit 1999 gibt es das Sonderforschungsprogramm SFB 536, das sich genau mit dieser Thematik befasst. Hier einige Kernpunkte:

  • Zum einen ist in die Entwicklungsdynamik der Moderne ein nachhaltiger Kontingenzzuwachs eingebaut, der sich unter den Bedingungen der reflexiven Moderne in einer folgenreichen Vervielfältigung von Optionen niederschlägt. Soziale Strukturierungen vom individuellen Beziehungsnetz bis hin zum Nationalstaat erscheinen nicht mehr als fest und selbstverständlich, sondern werden auch als anders möglich, veränderbar und begründungspflichtig erfahren.
  • Zum anderen macht sich das Problem der Nebenfolgen sozialen Handelns verstärkt bemerkbar. Dass die Verfolgung jedes intendierten Ziels nicht intendierte Nebenfolgen nach sich zieht, ist keineswegs neu. Aber unter den Bedingungen der reflexiven Moderne verschiebt sich das Verhältnis zwischen intendierten Handlungen/Zielen und nicht intendierten Nebenfolgen in teilweise dramatischer Form. Denn die nicht intendierten Nebenfolgen konterkarieren die intendierten Absichten nicht selten in einer Weise, dass die Bearbeitung der Nebenfolgen mehr Aufmerksamkeit und Aufwand erfordert als das ursprüngliche Handlungsprogramm.
  • Vor diesem Hintergrund ist zugleich eine Krise der Rationalitätsunterstellungen und Rationalisierbarkeitserwartungen der einfachen Moderne zu beobachten. So kann offensichtlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass durch mehr Wachstum, Wissen und soziale Differenzierung die gesellschaftliche Strukturierung immer eindeutiger und sicherer wird. Statt dessen wird deutlich, dass die Moderne angesichts der Erfahrungen von Kontingenz und Nebenfolgen eher uneindeutiger und unsicherer wird, und es ist genau dieser Prozess, der trotz oder gerade wegen eines unabweisbaren Zuwachses an Steuerungswissen die bisherigen “linearen” Rationalisierungs- und Ausdifferenzierungsvorstellungen in Frage stellt.

Die meisten Individuen, aber auch Organisationen, gehen immer noch von einer einfachen Modernisierung aus, und wundern sich, dass ihr Antwortverhalten nicht mehr zur der Realität passt. Machen Sie sich also diesen Strukturbruch klar, um für sich angemessene Handlungsweisen abzuleiten.