Künstliche Intelligenz: Vorwissen, Wissenszuwachsvorhersage, Wissenszuwachs und Markov-Ketten

Beispielhafte Darstellung der Wissenszuwachsvorhersage (Fischer et al. 2023)

Künstliche Intelligenz beeinflusst auf verschiedenen Ebenen auch die berufliche Weiterbildung. Ein wichtiger Bereich ist dabei die Personalisierung von Inhalten und Lernprozessen. In der Vergangenheit wurde das schon mit der Modularisierung von Inhalten zusammen mit entsprechenden Konfiguratoren umgesetzt. Kurz zusammenfasst lautet hier die Formel: Konfiguration von Learning Objects. Der ganze Bereich kann als Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung gesehen werden.

Eines meiner ersten Paper dazu habe ich 2003 auf der ElearnChina vorgestellt. Dabei ging es mir schon damals darum, dass nicht das Objekt lernt (Learning Objects), sondern die jeweilige Person. Daher habe ich schon damals eine Verbindung zur Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner hergestellt.

Freund, R. (2003): Mass Customization in Education and Training, ELearnChina 2003, Edinburgh, Scotland. Download | Flyer | Speaker. Weitere Paper finden Sie in meinen Veröffentlichungen.

In der Zwischenzeit bietet die Künstliche Intelligenz darüber hinausgehend weitreichende Verbesserungen, z,B. durch die Verwendung von Markov-Ketten.

“Beispielsweise lassen sich über klassische Verfahren des maschinellen Lernens automatisiert Lernmaterialien oder Kurse empfehlen, die vor dem Hintergrund der bisherigen Bildungshistorie von Teilnehmenden häufig gewählt wurden (Markov-Ketten), besonders erfolgsversprechend sind (gewichtete Markov-Ketten) und/oder angesichts des Vorwissens und ggf. weiterer Variablen den größtmöglichen Wissenszuwachs versprechen (Wissenszuwachsvorhersage)” (Fischer et al. (2023).

Die Abbildung zeigt das prinzipielle Vorgehen. Diese Verfahren sind bei einer großen Datenbasis durchaus gut einsetzbar. Neben den content-bezogenen Möglichkeiten bieten solche Ansätze auch Unterstützung bei den jeweiligen Kollaborationssituationen.

Experten allerdings nutzen am Arbeitsplatz für die Problemlösung oftmals ihr “Gefühl/Gespür”, oder man sagt, sie haben einen “guten Riecher” für die Situation gehabt. Gerade in komplexen Problemlösungssituationen zeigen sich Grenzen der rationalen, scheinbar objektiven Analyse. Es kommt dann stattdessen auch auf die subjektiven Fähigkeiten eines Menschen an. Siehe dazu auch Kann Intuition als Brücke zwischen impliziten und expliziten Wissen gesehen werden?

In der objektiven Arbeitssituation (Domäne, Kontext) bedarf es einer Subjektivierung des Arbeitshandelns, das uns vom Begriff des Wissens weiter zum Begriff der Kompetenz führt. Genauer: Zur Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit. Siehe dazu Persönlichkeitseigenschaften, -fähigkeiten und Kompetenzen und Wissensmanagement und Kompetenzmanagement: Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede gibt es?

Es wird spannend sein zu sehen, wie Künstliche Intelligenz hier nützlich sein kann, wenn man nicht die Technik in den Mittelpunkt stellt, sondern die menschenzentrierte, komplexe, kontextspezifische Problemlösungssituation. Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Mass Customization ist aktueller denn je

Die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization (Innovationsmanagement) kam ursprünglich aus dem verarbeitenden Gewerbe. Kernelement ist dabei ein definierter Lösungsraum (Fixed Solution Space) für Kunden, in dem mit Hilfe eines Konfigurators Produkte zusammengestellt werden können. Der Preis eines solchen Produkts sollte nicht wesentlich höher liegen, als der Preis für ein Standardprodukt. Dieser letzte Punkt wird oftmals allerdings nicht erreicht.

Dass Mass Customization nicht im verarbeitenden Gewerbe endet, haben wir erst gerade wieder auf der von uns initiierten Konferenz MCP CE (Mass Customization and Personalization Community Europe) gesehen. Weiterhin findet man auch in aktuellen Veröffentlichungen entsprechende Hinweise:

“Und wer vermutet hatte, zur Mass Customization im verarbeitenden Gewerbe enden würde, wurde eines Besseren belehrt. Heute lassen sich die Auswirkungen der Mass Customization auch in der Finanzdienstleistungsbranche beobachten. Beispiel gefällig? Digitale Anlagenhelfer, sogenannte Robo-Advisor, nehmen Sparern die Geldanlage umfassend ab, indem sie den Kunden fragen, wie viel Risiko er bereit ist einzugehen. Eine Software schlägt dann eine passende Geldanlage vor, und der Anbieter setzt diese dann technisch für den Kunden um” (Krieg/Groß/Bauernhansl (2024) (Hrsg.): Einstieg in die Mass Personalization. Perspektiven für Entscheider).

Siehe dazu auch Freund, R. (2009): Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass Customization). RKW Kompetenzzentrum, Faktenblatt 5/2009 (PDF).

Es lohnt sich auch heute noch, sich mit Mass Customization zu befassen, und dabei den Megatrend Mass Personalization im Auge zu behalten.

Megatrend: Mass Personalization

Quelle: https://www.masspersonalization.de/

Leser unseres Blogs wissen, dass wir uns seit sehr vielen Jahren mit den Möglichkeiten von Mass Customization and Personalization (MCP) befassen (Konferenzen, Veröffentlichungen) und MCP Central Europe Award). Zu Beginn lag der Schwerpunkt auf Mass Customization, einer hybriden Wettbewerbsstrategie, in deren Mittelpunkt ein definierter Lösungsraum (fixed Solutionspace) steht, in dem mit Hilfe von Konfiguratoren Produkte (hauptsächlich) und Dienstleistungen an die Wünsche der Kunden angepasst werden konnten und können. Dabei sollten die Preise nicht wesentlich höher sein, als die von massenhaft produzierten Standardprodukten und Dienstleistungen. So weit so gut.

Verschiedene technologische und gesellschaftliche Entwicklungen führen nun zum Megatrend Mass Personalization. Das Leistungszentrum Mass Personalization (LZMP) des Fraunhofer Instituts befasst sich genau mit dieser Entwicklung und stellt praktische Umsetzungsformate vor. Dabei spielen natürlich die neuen technischen Möglichkeiten wie Künstliche Intelligenz, 3D-Druck (Additive Manufacturing) usw. eine bedeutende Rolle. Doch zunächst muss natürlich klar sein, was das LZMP unter dem Begriff “Mass Personalization” versteht. Dazu habe ich folgendes gefunden:

“Mass Personalization ist ein eigenständiges radikal nutzerzentriertes und dennoch nachhaltiges und ressourceneffizientes Konzept, das als Toolbox oder plattformtechnologische Anwendung in der Produktion von morgen fungieren kann” (Krieg/Groß/Bauernhansl (2024) (Hrsg.): Einstieg in die Mass Personalization. Perspektiven für Entscheider).

Personalisierung mit seiner Nutzerzentriertheit drückt sich dabei durch einen zusätzlichen Wert (Added Value) für Nutzer aus, der als funktionaler Nutzen, wirtschaftlicher Nutzen, prozessoraler Nutzen, emotionaler Nutzen und sozialer Nutzen auftritt.

Dabei stellt sich mir die Frage, ob stark wirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen Interesse daran haben, einen emotionalen oder sozialen Nutzen zu generieren. Werden Unternehmen auch diese Dimensionen beachten, oder stärker auf die anderen drei Dimensionen von Added Value fokussieren? Mein Eindruck: Gerade die Diskussionen um den Klimawandel und um Nachhaltigkeit werden die Unternehmen immer stärker dazu zwingen, sich mit allen Dimensionen des Added Value zu befassen.