Das EU-Projekt Custom-Fit

custom-fit.jpgDas EU-Projekt Custom-Fit zeigt deutlich, welche Möglichkeiten es heute gibt, individuelle, auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Produkte herzustellen. Kernelement ist Rapid Prototyping, das wiederum zu Rapid Manufacturing führt. In dem Flyer wird das so formuliert: ” [Custom-Fit] is an industry led project investigating the possibility of moving towards knowledge based manufacturing and customised production through the integration of knowledge in Rapid Manufacturing, Information Technology and Material Science.” Auch der Artikel A custom-made helmet? Not just a dream any more vom 04.03.2008 verweist auf das EU-Projekt Custom-Fit und hier ganz besonders auf das Beispiel von Motorradhelmen.  Vergleicht man diesen Ansatz mit den vier Ebenen von Mass Customization, so kann man bei Custom-Fit eher von Customization sprechen. Mass Customization ist es erst dann, wenn es auch möglich ist, für einen größeren Markt zu produzieren – und das zu Preisen, die denen von massenhaft produzierten Produkten nahe kommen.

Mass Customisation City-Bike

Fahrrad-Ausschnitt1.jpgAuf der Website Innovatives Niedersachsen findet man den Hinweis, dass die FH Osnabrück ein “Stadt-Fahrrad nach Maß” entwickelt und 2006 erstmals vorgestellt hat: “In einem zweijährigen Forschungsprojekt entwickelten die Forscher ein Stadtfahrrad, das mit geringem Aufwand an die speziellen Bedürfnisse des Kunden angepasst werden kann. Mittels eines so genannten Bodyscannings werden zuerst dessen Körpermaße erfasst. Anschließend wird durch Einkürzen der Rohre und Verkleben mit den vorgefertigten Knotenelementen der für den Kunden ideale Fahrradrahmen erstellt und kann kurzfristig ausgeliefert werden. Ergebnis: Das Fahren wird rückenschonender, der Fahrkomfort besser. Besondere Material- oder Farbwünsche lassen sich beim Mass Customisation City-Bike ebenso leicht realisieren wie individuelle Zusatzausstattungen.” In dem Informationsblatt der FH Osnabrück finden Sie noch weitere Informationen. Aus Sicht von Mass Customization ist also die Individualisierungsebene gelöst. Wie steht es mit der Kostenebene? Sollte das Fahrrad wesentlich teuerer sein als ein Standard-Fahrrad, so handelt es sich eher um eine Einzelfertigung. Auch zu den beiden anderen Ebenen (Solution Space und Beziehungsebene) werden keine Angaben gemacht. Man kann also nich sagen, ob die Überschrift “Mass Customisation City-Bike” überhaupt stimmt.

TommyKlein – individual tailoring: Ein Selbstversuch

Anzug1.jpgAuf der Website von TommyKlein findet man folgenden Hinweis: “Maßkleidung von TommyKlein besitzt einen unvergleichbaren Tragekomfort und ist bezahlbar.” Weiterhin erfährt man, dass TommyKlein schon seit vielen Jahrzehnten in der Bekleidungsbranche tätig ist. Darüber hinaus bietet das Unternehmen einen für mich unschätzbaren Vorteil: Der Mitarbeiter der zuständigen Modeagentur kommt zu mir nach Hause, wo ich dann in Ruhe meine Wünsche besprechen kann. Da ich in Nordhessen wohne, ist die Modeagentur Reiner Bleifuß in Grünberg für mich zuständig. In einem kurzen Telefonat hatten wir im Februar einen Termin für Anfang März abgestimmt. Auf die Minute pünklich kam Herr Bleifuß zu uns und erläuterte mir und meiner Frau zunächst, welche Stoffe zur Auswahl stehen. Entsprechende Stoffmuster wurden vorgelegt und ich konnte fühlen, wie hochwertig die verschiedenen Stoffe sind. Es ist die Philosophie von TommyKlein, dass man die Maße klassisch abnimmt, also keine Technologie (Scanner) einsetzt. Beim Ausmessen habe ich einen Anzug von TommyKlein getragen, um auch den Tragekomfort zu spüren. Gerade das “Erfühlen” und “Erspüren” aus Kundensicht ist in dieser Phase wichtig. Sie können sich vorstellen, dass ich aus Interesse immer wieder Fragen hatte… Diese wurden von Herrn Bleifuß kompetent und geduldig beantwortet. Beim Ausmessen kam dann auch noch heraus, dass meine Armlängen unterschiedlich sind. Bisher war mir das bei Anzügen noch gar nicht aufgefallen. Allerdings hatte ich bei Hemden immer wieder einmal Schwierigkeiten – jetzt weiß ich auch warum. Bei dieser Gelegenheit habe ich dann auch noch gleich ein Hemd bestellt. In ca. 4 Wochen sollen der Maßanzug und das Maßhemd geliefert werden. Ich werde Sie darüber in Teil 2 des Selbstversuchs informieren. Aus der Sicht von Mass Customization ist TommyKlein interessant:

  1. TommyKlein sucht den Kunden in dessen gewohnter Umgebung auf und verzichtet im Vergleich zu Wettbewerbern bewusst auf Einzelhandelsgeschäfte in 1a-Lagen der Großstädte. In meinem Vortrag zur MCPC2007 (MIT, Boston/USA) habe ich auf die Wichtigkeit des Kontextbezugs bei der Interaktion mit Kunden hingewiesen.
  2. TommyKlein nimmt traditionell am Kunden Maß und setzt bewusst keine Scanner ein. Einerseits ist es möglicherweise der Zielgruppe geschuldet, andererseits erscheint es auch wichtig, die Maße noch mit dem Erfahrungswissen der Fachleute zu ergänzen um die gewünschte Passform und somit das Wohlgefühl zu erreichen.
  3. TommyKlein nutzt moderne Fertigungskapazitäten in Europa, um sich in Richtung Mass Customization weiterzuentwickeln.

RKW-Arbeitskreis ´Mass Customization´ hat am 06.03.2008 in Gießen stattgefunden

rkw-arbeitskreis-mc.jpgWie schon in einem vorherigen Blogbeitrag berichtet, fand am 06.03.2008 von 15.-18.00 Uhr das erste Arbeitskreistreffen zu Mass Customization im Technologie- und Innovationszentrum in Gießen statt. Zielgruppe für den Arbeitskreis sind KMU aus dem Bereich Industriegüter. Gastgeber war das RKW in Eschborn. Herr Schröter (RKW) begrüßte die Vertreter der verschiedenen KMU und stellte zunächst das RKW und die mit dem Arbeitskreis verbundenen Ziele vor. Herr Dr. Depner (RKW) leitete danach auf das Thema Mass Customization über, indem er auf die Problematik der Kompexitätsfalle hinwies. Meine Aufgabe war es anschließend, die Grundlagen der hybriden Wettbewerbsstrategie zu erläutern und Mass Customization zu Einzelfertigung, Massenproduktion, Variantenfertigung, Lean Production, Customization/Personalization, CRM usw. abzugrenzen. Eine Fallstudie aus dem Bereich der Industriegüter rundete meinen Impulsvortrag ab. Es entwickelte sich anschließend eine angeregte Diskussion zu verschiedenen Aspekten der kundenindividuellen Massenproduktion (Mass Customization). In der Nachbereitung des ersten Treffens wird das RKW die verschiedenen Diskussionspunkte zusammenfassen und Vorschläge für das nächste Treffen machen. Falls Sie an dem nächsten Treffen teilnehmen wollen, so nehmen Sie doch bitte direkt Kontakt mit Herrn Dr. Depner vom RKW auf.

Schmuckstücke – Mass Customized

Kette1.jpgAuf der Website Pearlfection kann man sich aus verschiedenen Einzelteilen, ein individuell zusammengestelltes Schmuckstück konfigurieren. Das Designtool ist selbsterklärend und motiviert zum Ausprobieren. Die Endpreise setzen sich jeweils aus den gewählten Einzelelementen zusammen und sind durchaus konkurrenzfähig im Vergleich zu massenproduzierter Ware. Auch das Portal July and Grace hat ein ansprechendes Designtool, mit dem man sich sehr interessante Schmückstücke zusammenstellen (konfigurieren) kann. In der Pressemitteilung vom 22.01.2008 formuliert es Simon-Peter Nötzel von Julie and Grace so: „Wir können unseren Kunden individuelle Schmuckstücke in höchster Qualität zu einem Preis anbieten, der nicht über dem der herkömmlichen Massenprodukte liegt“. Nachdem man nun auch in der Schmuckbranche die Vorteile von Mass Customization erkannt und umgesetzt hat, fehlt nur noch der Übergang zu Open Innovation…

MASS CUSTOM HOME®: Häuser mass customized herstellen

Hausbau1.jpgDr. Masa Noguchi von der Glasgow School of Arts beschreibt auf seiner Website MassCustomHome®, wie man Häuser individuell und dennoch kostengünstig herstellen kann (Mass Customization). Dabei leitet Dr. Masa Noguchi die einzelnen Zusammenhänge systematisch ab und folgert: “The new custom made design approach, in which housing products and services are well standardised and integrated into the system, may have the great potential to reform the current housing delivery system in North America …”. Ich frage mich natürlich, warum nur in Nordamerika? Warum nicht auch in Europa? Es fehlen (noch) die Unternehmen in Europa, die die Möglichkeiten von Mass Customization (und später von Open Innovation) für die Baubranche konsequent nutzen.

CATER: Mass Customization in der Autoindustrie – From “a” vehicle to “my” vehicle

cater.jpgDas Projekt CATER (2006-2009): “The overall aim of CATER is to facilitate networked business in the automotive industry, by bridging some of the widest gaps in the automotive ICT world of today, as well as gaps between Europe and Asia by integrating approaches from both continents. The CATER project is also specially tailored to support, through the use of ICT, the development of mass customization systems in the automotive market so that the industry can build vehicles that customers want.” Ganz besonders empfehlenswert ist die Zusammenfassung des Workshops vom 08.11.2007, der in Stuttgart stattgefunden hat: Workshop-Minutes (zip-Datei). Es wird auch wirklich Zeit, dass die Automobilindustrie die Möglichkeiten von Mass Customization und Open Innovation nutzt (Siehe dazu diesen Blogbeitrag). Neben dem EU-Projekt LEAPFROG (Mass Customization in der Bekleidungsindustrie) und dem EU-Projekt EURO-SHOE ist das EU-Projekt CATER (aber auch das Projekt OSCAR) ein weiterer Beleg dafür, dass Mass Customization ein wichtiges Thema geworden ist. Die Projektergebnisse werden sicherlich auch Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen haben. Auch KMU (ob Zulieferer oder Hersteller) sollten sich daher rechtzeitig mit Mass Customization (und Open Innovation) befassen.

MCRC: Mass Customization Research Center mit Simulationsmodell VBTO

mcrc-nottingham.gifIn meinem Blogbeitrag Beispiele für Mass Customization hatte ich schon 2006 einmal auf die Website Mass Customisation Research Center (MCRC, Nottingham) hingewiesen. Das MCRC verfolgt folgende Ziele: “On this website is the Mass Customization Resource Centre, containing information about Mass Customization, resources for Mass Customizers and links to external resources. It is an ongoing objective of the Nottingham MCRC to gather and disseminate information on MC to the commercial and academic communities.” Auf der MCPC2007 bin ich dann bei einem Vortrag wieder auf das MCRC aufmerksam geworden. Dabei stellten die Forscher eine Virtual Build To Order (VBTO) Simulation vor, die mich faszinierte. Um was geht es? “The characteristics of some products and supply chains hamper the adoption of the postponement model. For products such as passenger cars, some supply chain activities need to be triggered weeks or months before the date of manufacture. High levels of in-process inventories are unattractive in such systems. It is difficult to identify or create a dominant single decoupling point in the production system where a product can go from a ‘generic’ state upstream of the decoupling point to being fully specified downstream (…). A fundamental capability for a VBTO system is the ability to search the order fulfilment pipeline on behalf of a customer.” In der Zwischenzeit steht das Simulationsmodell auf der Website des MCRC zur Verfügung: Auf der VBTO-Website finden Sie am unteren Ende einen Link zur Simulation (Java wird benötigt). Es ist wirklich spannend, sich die verschieden Systemzustände anzeigen zu lassen. Natürlich bietet das MCRC auch noch viele andere interessante Hinweise zu Mass Customization – es lohnt sich.

Video-Interview: Prof. Dr. Frank T. Piller über Mass Customization und Open Innovation

In dem Video Was nicht passt, wird passend gemacht (Auf der Website foerderland.de) erläutert Frank Piller die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization und nennt entsprechende Beispiele. Anschließend geht Frank noch einen Schritt weiter und beschreibt, worin sich Mass Customization und Open Innovation unterscheiden. Dabei kommt dem Kunden bei Open Innovation eine ganz besondere Rolle zu. Wenn Sie mehr zu Mass Customization und Open Innovation wissen wollen, so empfehle ich das online verfügbare Buch Reichwald/Piller (2006): Interaktive Wertschöpfung.

Was hat Prokrustes mit Mass Customization zu tun?

Gruen6.jpgÜber den Wegelagerer Prokrustes schreibt Diodor im 1. Jh. v. Chr. (Quelle: Wikipedia): “Prokrustes bot Reisenden ein Bett an. War der Wanderer groß, gab er ihm ein kleines Bett und hackte ihm die Füße ab, damit er hineinpasste. War er eher klein, gab er ihm ein großes Bett, zog ihn in die Länge und reckte ihm die Glieder auseinander, indem er sie auf einem Amboss streckte. Der Name Prokrustes bedeutet im Griechischen der Strecker.” Der Wanderer wurde dem Bett brutal angepasst – und nicht umgekehrt. Besser wäre es doch sicherlich, wenn das Bett an die unterschiedichen Größen der Wanderer angepasst würde. Es ist heute möglich, individuelle Produkte und Dienstleistungen herzustellen zu einem Preis, der dem massenhaft produzierter Produkte/Dienstleistungen entspricht. Diese hybride Wettbewerbsstrategie heißt Mass Customization (Kundenindividuelle Massenproduktion).