Vermindert der Einsatz Künstlicher Intelligenz menschliche Fähigkeiten?

Wenn wir ein Navigationssystem nutzen hilft uns das, schnell und bequem unser Ziel zu erreichen. Andererseits vermindert sich dadurch auch die menschliche Fähigkeit, sich zu orientieren. Die Nutzung eines Autos hilft uns, große Strecken zurückzulegen, doch vermindert es auch unsere körperlichen Fähigkeiten. Die Nutzung eines Computers erleichtert uns die Bearbeitung von Zahlenkolonnen, doch reduziert es auch unsere Rechen-Fähigkeiten. Die Nutzung von Suchmaschinen wie Google hat es uns erleichtert, Daten und Informationen schnell zu finden. Manche Fähigkeiten der Recherche und des Prüfens von Daten und Informationen bleiben hier manchmal wegen den schnellen Zyklen der Veränderungen auf der Strecke.

Warum sollten diese Effekte also bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz anders sein?

“Eine grundlegende Erkenntnis besagt, dass jedes technische Hilfsmittel die Fähigkeiten der Kombination «Mensch-Tool» zwar erhöht, jene des Menschen alleine aber potenziell vermindert (every augmentation is also an amputation, frei nach Marshall McLuhan)” (Digital Society Initiative 2023)

Im Kontext der universitären Bildung haben Forscher ermittelt, welche menschlichen Fähigkeiten in Zukunft in einem von KI dominierten Umfeld erhalten und gestärkt werden sollten (vgl. Digital Society Initiative 2023):

Grundlegende technische Fähigkeiten in Bezug auf KI-Technologien.

Sozialisationsfähigkeiten: Soziales Lernen, Einfühlungsvermögen, Resilienz und effektives
Teamwork gefördert werden. Dies bedingt auch ein Verständnis und eine Reflexion über ethische Werte und wissenschaftlichen Ethos.

Kritisches Denken: Kritische Diskurs, das Denken in Modellen und Abstraktionen sowie die Fähigkeit zur multiperspektivischen Kognition und Analyse.

Handeln unter Unsicherheit: Um mit der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts (und auch den bekannten globalen Herausforderungen wie z.B. dem Klimawandel) umgehen zu können, sind Fähigkeiten zu fördern, welche das Handeln unter Unsicherheit erleichtern. Unter anderem zu nennen ist hier eine Schulung der Intuition und abstraktes Problemlösen.

Anmerken muss ich an dieser Stelle, dass persönliche Fähigkeiten nicht mit Persönlichkeitseigenschaften gleich gesetzt werden sollten. Siehe dazu auch Über den Umgang mit Ungewissheit. Es geht hier darum, dass gerade der Mensch als soziales und emotionales Wesen komplexe Problemlösungssituationen besser bewältigen kann, als es Technologie vermag. Wie ein Idealszenario der Arbeitsteilung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz aussehen kann, lesen Sie in diesem Blogbeitrag.

Welche Fragen unterstützen kritisches Denken?

In dem Blogbeitrag Kritisches Denken etwas genauer betrachtet wird erläutert, was kritisches Denken ausmacht. Daran anschließend können sechs Grundmuster Sokratischen Fragens das kritische Denken unterstützen. Gefunden habe ich diese bei North (2024), der sich dabei an Paul und Elder (2016) und Lechsenring (2018) orientiert. Probieren Sie es einfach einmal aus:

Klärendes Denken und Verstehen
• Können Sie mir ein Beispiel geben?
• Könnten Sie das weiter erklären?
• Meinten Sie X?
• Was ist das Problem, das Sie zu lösen versuchen?

Anspruchsvolle Annahmen hinterfragen
• Ist das immer so?
• Setzen Sie X voraus?
• Stimmen Sie dem X zu?
• Wenn das für ein X gilt, gilt das für alle X?

Beweismittel und Gründe untersuchen
• Warum sagen Sie das?
• Woher wissen Sie das?
• Welche Daten unterstützen dies? Warum?

Alternative Standpunkte und Perspektiven einbringen
• Gibt es Alternativen?
• Wie sieht die andere Seite des Arguments aus?
• Was macht Ihre Sichtweise besser?
• Was würde X dazu sagen?
• Können Sie an Fälle denken, in denen das nicht stimmt?

Folgen und Konsequenzen berücksichtigen
• Was wären die Folgen?
• Gibt es irgendwelche Nebenwirkungen?
• Was, wenn Sie falsch liegen?
• Wie können wir es herausfinden?
• Wenn das wahr ist, bedeutet das, dass X auch wahr ist?
• Was sollten wir dazu noch überlegen?

Meta-Fragen
• Was denken Sie, warum ich diese Frage gestellt habe?
• Was bedeutet das?
• Was könnte ich sonst noch fragen?

Kritisches Denken etwas genauer betrachtet

Image by James Oladujoye from Pixabay

Denken ist ja schon per se eine gute Sache, doch kann Denken auch eher selbst-bestätigend sein, da wir gar nicht nach alternativen Informationen suchen, und uns möglicherweise nur mit Personen umgeben, die das gleiche Denken. Es ist ja auch nicht angenehm zu erfahren, dass es auch andere Perspektiven auf ein Thema gibt. Daraus dann in angemessener Form eine Synthese zu bilden, ist eines der vielen Merkmale des kritischen Denkens. Schauen wir uns einmal an, was darunter genauer verstanden wird:

Kritisches Denken wird beschrieben als „die Fähigkeit, Informationen und Argumente sorgfältig zu analysieren, verschiedene Perspektiven einzunehmen, logisch zu denken und fundierte Schlussfolgerungen zu ziehen. Es beinhaltet die Fähigkeit, Annahmen zu hinterfragen, Beweise zu prüfen und sachliche Entscheidungen zu treffen“ (Metakomm 2023). Das bedeutet auch, keine Informationen zu bevorzugen, die der eigenen Meinung entsprechen oder Gegenpositionen automatisch abzuwerten” (North (2024): Kritisches Denken – eine Schlüsselkompetenz, die KI (noch) fehlt. Das Kuratierte Dossier vol. 6 „Future Skills KM“ March 2024 published by: Gesellschaft für Wissensmanagement e. V.).

North hat dazu in einer anderen Veröffentlichung (Grant 2021) wertvolle Hinweise gefunden, um kritisches Denken gegenüber einer eher bestätigenden Wissenskonstruktion zu unterscheiden, und stellt beides in einer Tabelle gegenüber:

Affirmative (bestätigende) WissenskonstruktionKritisches Denken
Denken und lernen ohne zu hinterfragenUmdenken & Verlernen
In der Behaglichkeit einer Überzeugung lebenMit dem Unbehagen des Zweifels leben
Auf bestätigende Meinungen hören, die ein gutes Gefühl gebenAktiv Ideen und Widersprüche suchen, die zum Nachdenken anregen
Sich im Kreis Gleichgesinnter bewegenSich zu Menschen hingezogen fühlen, die Gedanken herausfordern
Informationen und Medien konsumieren, die die eigene Meinung bestätigenVielfältige Informationen und Medien suchen, die Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten
Stereotype und Vorurteile übernehmenStereotype und Vorurteile hinterfragen
Denken und handeln wie Prediger, die heilige Überzeugungen verteidigen,
Ankläger, die der Gegenseite beweisen wollen, dass sie im Unrecht ist,
Politiker, die um Zustimmung werben
Neugier entwickeln

Denken wie Wissenschaftler auf der Suche nach der Wahrheit
Selbstüberzeugung: ich habe RechtSelbstreflektion: wie und in welchem Kontext bin ich zu meiner Erkenntnis gekommen?
Quelle: North (2024) in Anlehnung an Grant (2021)

Die Merkmale des kritischen Denkens erinnern deutlich an eine eher wissenschaftliche Herangehensweise an Themenfelder. Es wundert daher nicht, dass das kritische Denken an Universitäten immer wieder geschärft werden sollte – beispielsweise macht das die Manosh University (Englischsprachige Website) sehr ausführlich.

Darüber hinaus ist es auch für einzelne Personen, in Teams, in Organisationen und in Netzwerken wichtig, kritisches Denken zu entwickeln – gerade in Zeiten von Populismus und Künstlicher Intelligenz.

Solche Zusammenhänge thematisieren wir auch in den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, Projektmanager/in (IHK) und Projektmanager/in Agil (IHK), die wir an verschiedenen Standorten anbieten. Weitere Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.