Innovationsökosysteme können von einem starren Qualitätsmanagement behindert werden

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Die Zertifizierung nach ISO 9001 bedeutet, dass alle Prozesse einer Organisation dokumentiert und wirksam eingeführt wurden (Qualitätsmanagementsystem). Es ist also ein Mindestmaß an Management-Qualität dokumentiert. Prozesse wie Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen oder auch der Ablauf im Vertragswesen usw. sind beschrieben, und die Mitarbeiter halten sich möglichst daran. Für Abweichungen von den Prozessen, oder bei Verbesserungen (KVP) gibt es weitere Prozessbeschreibungen.

Solche Managementsysteme sind gut bei einem relativ stabilen Umfeld, bei dem die Prozesse marginal, kontinuierlich verbessert werden. Das führt dann auch immer wieder zu inkrementellen Innovationen, die allerdings heute alleine nicht mehr ausreichen. Das turbulente Umfeld erwartet in Innovationsökosystemen viele – und immer schneller – Innovationen, die eher disruptiv sind. In so einem beschleunigten Umfeld kommen Organisationen mit ihrem Qualitätsmanagementsystem oftmals gar nicht mehr hinterher. Bernhard Lingens fasst das wie folgt zusammen:

“Bei Innovationsökosystemen geht es darum, mit Partnern zusammen Innovationen zu realisieren. Dies erfordert Koordination und Geschwindigkeit. Verträge sind schwierig, weil alle Partner auf Augenhöhe arbeiten. Schnelligkeit und der schnelle Marktstart sind entscheidend. Ein starres Qualitätsmanagement könnte diesen Prozess behindern. Versuche, komplexe Liefergegenstände vertraglich zu definieren, sind hier oft zum Scheitern verurteilt. Ein Minimum Viable Product (MVP) ist oft wichtiger als Perfektion, um schnell Feedback zu erhalten und iterativ zu verbessern” (Interview mit Prof. Dr. Bernhard Lingens, in: qz-online vom 07.11.2024).

Die Stärken traditioneller Managementsysteme des Scientific Managements haben den eher auf Routine ausgerichteten Organisationen eine Struktur gegeben, die jahrzehntelang zum Erfolg ganzer Branchen, oder auch der Verwaltungen, beigetragen haben.

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Umfeld durch die Vernetzung von allem erheblich beschleunigt, sodass die neuen komplexen Probleme mit diesen Ansätzen immer weniger zeitnah gelöst werden können. Das wird in der Zwischenzeit allen klar. Doch ist es immer wieder Erstaunlich, wie lange sich Systeme gegen eine Veränderung streuben – bis es dann gar nicht mehr geht. Der Volkswagen-Konzern, und auch staatliche Strukturen, sind hier Negativ-Beispiele. Dort galt und gilt (?) immer noch das Credo: Wer sich zuerst bewegt, verliert…

Inkrementelle Innovation in Deutschland: Stärke und Schwäche

Neben den radikalen, disruptiven Innovationen stellen inkrementelle Innovationen eine wichtige Säule für Unternehmen in Deutschland dar. Inkrementelle Innovationen sind deshalb so stark vertreten, weil der kontinuierliche Verbesserungsprozess des Qualitätsmanagements gerade in den großen Industrieunternehmen fest etabliert ist. Diese Vorgehensweise hat zusammen mit der damit verbundenen 0-Fehler-Kultur dafür gesorgt, dass deutsche Premiumqualität weltweit gefragt ist.

“Germany […] infuses its existing industries with new ideas and technologies. For example, look at how much of a new BMW is based on innovation in information and communication technologies, and how many of the best German software programmers go to work for Mercedes-Benz” (Bretznitz 2014, zitiert in HIIG (2017): Entrepreneurship Deutschland, S. 15)

Andererseits führt diese Entwicklung mit der damit verbundenen Denkweise auch dazu, dass die Gründerszene mit neuen, radikalen Geschäftsmodellen nicht so stark ist, wie sie eigentlich für die Zukunft sein sollte (Siehe dazu ausführlich HIIG 2017). Wir lesen immer mehr darüber, Fehler zuzulassen und eine neue Fehlerkultur zu etablieren. Weiterhin sollen Organisationen agiler werden, um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Inkrementelle Innovationen sind somit ein Segen, und gleichzeitig ein Fluch für die deutschen Unternehmen. Solche Themen besprechen wir auch in dem von uns entwickelten Blended Learning Lehrgang Innovationsmanager (IHK), der im ersten Halbjahr 2018 in Mannheim und Köln angeboten wird. Informationen dazu finden Sie auf unserer Lernplattform.