Mass Customization ist aktueller denn je

Die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization (Innovationsmanagement) kam ursprünglich aus dem verarbeitenden Gewerbe. Kernelement ist dabei ein definierter Lösungsraum (Fixed Solution Space) für Kunden, in dem mit Hilfe eines Konfigurators Produkte zusammengestellt werden können. Der Preis eines solchen Produkts sollte nicht wesentlich höher liegen, als der Preis für ein Standardprodukt. Dieser letzte Punkt wird oftmals allerdings nicht erreicht.

Dass Mass Customization nicht im verarbeitenden Gewerbe endet, haben wir erst gerade wieder auf der von uns initiierten Konferenz MCP CE (Mass Customization and Personalization Community Europe) gesehen. Weiterhin findet man auch in aktuellen Veröffentlichungen entsprechende Hinweise:

“Und wer vermutet hatte, zur Mass Customization im verarbeitenden Gewerbe enden würde, wurde eines Besseren belehrt. Heute lassen sich die Auswirkungen der Mass Customization auch in der Finanzdienstleistungsbranche beobachten. Beispiel gefällig? Digitale Anlagenhelfer, sogenannte Robo-Advisor, nehmen Sparern die Geldanlage umfassend ab, indem sie den Kunden fragen, wie viel Risiko er bereit ist einzugehen. Eine Software schlägt dann eine passende Geldanlage vor, und der Anbieter setzt diese dann technisch für den Kunden um” (Krieg/Groß/Bauernhansl (2024) (Hrsg.): Einstieg in die Mass Personalization. Perspektiven für Entscheider).

Siehe dazu auch Freund, R. (2009): Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass Customization). RKW Kompetenzzentrum, Faktenblatt 5/2009 (PDF).

Es lohnt sich auch heute noch, sich mit Mass Customization zu befassen, und dabei den Megatrend Mass Personalization im Auge zu behalten.

Mass Customization? Was ist das denn?

Zunahme der Variantenvielfalt

Dem Trend zur Globalisierung und Individualisierung (Strukturwandel) begegnen die Unternehmen noch oft mit der Erhöhung der Vielfalt (Variantenproduktion), wodurch die Auswahlmöglichkeit für den Kunden zwar erweitert wird, der Kunde aber oftmals nicht das bekommt, was er haben möchte (The Paradox of Choice). Die Abbildung zeigt exemplarisch auf, wie sich der Trend zur Variantenproduktion in verschiedenen Branchen bemerkbar macht.

Die Zunahme der Variantenvielfalt führt die Unternehmen in eine Kompexitätsfalle, da nicht alle angebotenen Varianten verkauft werden können und nur noch wenige Produkte/Dienstleistungen wirtschaftlich sind. Die Automobilindustrie beispielsweise flüchtet um Kosten zu sparen in die sogenannte “Plattformstrategie” und bemerkt erst langsam, dass man dadurch an Markenimage verliert. Die Reaktionen der Unternehmen auf den Trend zur Individualisierung basieren sehr oft auf der generischen Wettbewerbsstrategie von Porter.

Diese Wettbewerbsstrategie schließt allerdings genau das aus, was Mass Customization ermöglicht: Die kundenindividuelle Massenproduktion als sogenannte hybride Wettbewerbsstrategie. Unternehmen und auch Kunden stehen Mass Customization manchmal abwehrend gegenüber. Der Satz: “Wenn Du etwas individuelles haben willst, dann musst Du dafür mehr bezahlen” wird von vielen Kunden immer noch als eine Art Gesetzmäßigkeit gesehen.

Mit B. Joseph Pine II und seinem Buch “Mass Customization – The Future in Business Competition” ist 1993 der Durchbruch gelungen. In Deutschland hat dann Frank Piller 1998 mit seiner Veröffentlichung “Kundenindividuelle Massenproduktion” dazu beigetragen, dass Mass Customization auch in Deutschland bekannt wurde. Die Entwicklung ist seither rasant (Auswahl):

1971: Toffler “Future Shock” > Aufzeigen der Möglichkeiten

1987: Davis “Future Perfect” > Begriff “Mass Customization”

1993: Pine “Mass Customization” > MIT-Studie

1998: Piller “Kundenindividuelle Massenproduktion”

Die verschiedenen Welt-Konferenzen seit 2001 in Hong Kong (MCPC 2001), an der ich teilgenommen habe, zeigen die rasante Entwicklung.

Siehe dazu auch Freund, R. (2009): Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass Customization). RKW Kompetenzzentrum, Faktenblatt 5/2009.

Mass Customization in der Bildung

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In den letzten Jahren gibt es immer mehr Veröffentlichungen, die sich mit den Möglichkeiten individueller Lernprozesse befassen. Das ist gut, doch scheinen es manche mit Quellenangaben nicht so genau zu nehmen. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf meine ersten Veröffentlichungen zu Mass Customization in der Bildung hinweisen, die teilweise schon 14 Jahre zurückliegen. Schon damals war klar, dass neue Technologien Mass Customization in der Bildung ermöglichen würden (Veröffentlichungen):

Freund, R. (2005): Mass Customization in Education and Training. In: Rohmetra, N. (Ed.) (2005): Human Resource Development: Challenges and Opportunities, New Dehli, India

Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der Weiterbildung. Forum 2, 17.11.2003, Berlin, Deutschland Flyer | Präsentation

Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany. Download

Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung. In: Community Schwerpunktthema August 2003 der Tele Akademie (FH Furtwangen) Download

Freund, R. (2003): Mass Customization in Education and Training, ELearnChina 2003, Edinburgh, Scotland. DownloadFlyer | Speaker

2001

Freund, R. (2001): Mass Customization in der beruflichen Bildung. Vortrag an der PH Freiburg im Rahmen der Weiterbildung zum Experten für neue Lerntechnologien (FH). Download

Trend zur Individualisierung: Gesellschaftliche und ökonomische Dimension

Es gibt einen Trend zur Individualisierung
Neben dem Trend zur Globalisierung und zur Lokalisierung gibt es auch noch einen Trend zur Individualisierung. Dabei kann man zwei Dimensionen unterscheiden: Die gesellschaftliche und die ökonomische Dimension.

Die gesellschaftliche Dimension der Individualisierung
“Wenn das vergangene Jahrtausend zu mehr Demokratie geführt hat, ist zu erwarten, dass das neu begonnene zu verstärkter Individualisierung führen wird – Individualisierung nicht im Sinne der Selbstsucht oder Selbst-Suche, sondern im Sinne wachsender Einsicht in die Eigenart der einzelnen Individuen und wachsender Achtung vor ihnen” (Gardner 2002:260). „In der individualisierten Gesellschaft muss der einzelne entsprechend bei Strafe seiner permanenten Benachteiligung lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen“ (Beck 1986:217). „Individualisierung meint (…) erstens die Auflösung, zweitens die Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen (…) durch solche, in denen die Individuen ihre Biographie selbst herstellen, inszenieren, zusammenschustern müssen (…). Individualisierung beruht also keineswegs auf einer freien Entscheidung. Die Menschen sind – um es mit Sartre zu sagen – zur Individualisierung verdammt” (Beck 1993). Weg also von der Fremdorganisation durch den Staat und die Gesellschaft, hin zur Selbstorganisation. Begriffe wie Selbstorganisiertes Lernen, Selbstmanagement, Selbstorganisationsdisposition usw. sind Ausdruck dieser Veränderungen. Es fällt vielen Menschen noch sehr schwer, sich selbst und ihr eigenes Lebensumfeld stärker selbst zu organisieren.

Die ökonomische Dimension der Individualisierung
Viele Unternehmen stehen vor Anforderungen, die mit den klassischen Wettbewerbsstrategien nicht mehr zu bewältigen sind. Durch die neuen Informations- und Kommunikations-Technologien ist es z.B. nun möglich geworden, individuelle Produkte und Dienstleistungen für einen großen Markt zu “ganz normalen” Preisen anzubieten (Kundenindividuelle Massenproduktion oder Mass Customization). Der Trend zur Individualisierung ist somit eine Vorbedingung für die neue Wettbewerbsstrategie. Aber auch Open Innovation (Open Source, Open Content…), Diversity Management, Lernende Organisation, Wissensmanagement oder Wissensbilanz – Made in Germany sind Entwicklungen, die aus den veränderten Rahmenbedingungen entstanden sind.

Kossmann, D.; Alonso, G. (2006): Software Mass Customization

Der Artikel Kossmann, D.; Alonso, G. (2006): Software Mass Customization (Erschienen in Datenbank-Spektrum 19/2006) ist zwar schon einige Jahre alt, dennoch weist er sehr gut und verständlich auf die Möglichkeiten hin, Mass Customization in der Softwarebranche zu nutzen. Dabei kommt es natürlich auf eine sinnvolle Modularisierung und deren geeignete Konfiguration an (Solution Space Ebene von Mass Customization). Mit diesen Hilfsmitteln ist eine Individualisierung von Software möglich, die gleichzeitig kostengünstig wäre. Bei den aktuellen Telefonen sieht man schon, dass diese Möglichkeiten nach und nach genutzt werden. Dennoch vermutet kaum jemand dahinter Mass Customization. Der nächste Schritt ist natürlich Open Innovation im Softwarebereich, also Open Source Entwicklungen mit den entsprechenden Tool-Kits. Man sieht an dem Beispiel Software, wie sich die einzelnen Themenfelder Mass Customization und Open Innovation sinnvoll ergänzen. Der Artikel Kossmann, D.; Alonso, G. (2006): Software Mass Customization beschreibt weiterhin die verschiedenen Möglichkeiten, Mass Customization für Software praktisch umzusetzen. Es wird Zeit, dass sich nicht mehr die Menschen an die Software anpassen, sondern sich die Software nach den individuellen Bedürfnissen der Menschen richtet.

Buhse, W.; Stamer, S. (Hrsg.) (2008): Enterprise 2.0: Die Kunst, loszulassen

die-kunst-loszulassen.gifDas Buch Buhse, W.; Stamer, S. (2008): Enterprise 2.0: Die Kunst, loszulassen enthält Fachbeiträge vieler namhafter Autoren. Was versteht man unter Enterprise 2.0? In der Einleitung von G. Hamann findet man den Hinweis, dass Enterprise 2.0 von dem Prinzip der losen Kopplung ausgeht – Granovetter (1973): The Strength of Weak Ties. Das hat natürlich erhebliche Kosequenzen für Organisationen (S. 15): “Insofern ist es an der Zeit, den Markt richten zu lassen. Er wird jene belohnen, denen es gelingt, eine Organisation aufzubauen, in der die Arbeiter der Wissensökonomie besonders produktiv sind. Und dafür liefert dieses Buch zweifellos viele Anregungen.” Auf S. 99 enthält das Buch auch einen Artikel von Reichwald/Möslein/Piller, der sich mit der Interaktiven Wertschöpfung befasst. Wie Sie als Leser meines Blogs wissen, sind Open Innovation, Individualisierung usw. Elemente der Interaktiven Wertschöpfung. Insofern habe ich in dem Buch viele Querverbindungen zu den von mir kommentierten Themen gefunden – freut mich natürlich…

Auch Edelmarken nehmen den Trend zur Individualsierung auf

Muster7.jpgIn dem Artikel Blaubeermatsch muss auf das Luxushemd (Financial Times vom 30.03.2008) beschreibt die Autorin u.a. am Beispiel von Etro (und anderer Marken), dass auch immer mehr Edelmarken den Trend zur Individualisierung aufnehmen. Allerdings ist die Wortwahl der Autorin bezeichnend dafür, dass Sie nicht wirklich weiss, wovon sie eigentlich schreibt. Hier ein Beispiel: “Seit Jahren ist es en vogue, Massenprodukte zu ´customizen´ – sie also durch eigene Bastelei in Einzelstücke zu verwandeln. Und das nicht nur im Kreis der Kreativen. Geschäfte sprießen geradezu aus dem Boden, die dem modischen Individualisten professionell beim Aufmotzen helfen.” Es ist der Autorin möglicherweise entgangen, dass es sich bei diesen (und in der Zwischenzeit vielen anderen) Geschäftsmodellen um die Umsetzung von Mass Customizaion and Personalization und darüber hinaus um Open Innovation in der Bekleidungsbranche handelt. Es stellt sich somit die Frage, ob es sich bei den von der Autorin ausgesuchten Beispielen überhaupt um Customization (wie im Text erwähnt), Personalization, Mass Customization oder um Open Innovation handelt. Diese Wettbewerbsstrategien sind somit nicht als “eigene Basteleien” zu verkürzen, sondern Entwicklungen, die den Trend zur Individualisierung aufnehmen, Existenzgründungen ermöglichen und Zukunftssicherung für etablierte Marken schaffen. Die Autorin hat zumindest eine außergewöhnlichen Überschrift gefunden, und damit Aufmerksamkeit erzielt. Wenn Sie tiefer in die Thematik einsteigen wollen: Mass Customization and Personalization: Was versteht man darunter? oder LEAPFROG: Das EU-Projekt zu Mass Customization in der Bekleidungsindustrie – um nur einige zu nennen …

Was versteht man unter Individualisierung?

Jeansstore201.jpgDer Trend zur Individualisierung ist Voraussetzung für Mass Customization and Personalization. Doch was versteht man unter “Individualisierung”? In Kirchhöfer (2004:25) findet man folgende Beschreibung: “Individualisierung bezeichnet die Freisetzung des Individuums aus traditionellen Bindungen und Zwängen und die Erweiterung der individuellen Handlungsoptionen und Entscheidungsmöglichkeiten zur autonomen Gestaltung von Lebensführungen und Lebensverläufen.” Neben der gesellschaftlichen Dimension der Individualisierung kommt der wirtschaflichen Dimension eine große Bedeutung zu. Der Kunde möchte individuelle Produkte und Dienstleistungen zu annehmbaren Preisen. Mit Hilfe von Mass Customization ist das heute möglich, dabei sollten die vier Ebenen (und nicht nur zwei) der Strategie beachtet werden. Gerade die Erweiterung der individuellen Handlungsoptionen macht es vielen Kunden aber auch schwer, sich zu entscheiden (Siehe dazu auch den Blogbeitrag The Paradox of Choice). Darüber hinaus führt der Trend zur Individualisierung auch zu weniger Fremdorganisation und somit zu mehr Selbstorganisation. Auch das macht vielen Menschen Schwierigkeiten, denn sie waren gewohnt, dass andere (Staat, Unternehmen, Vorgesetzte usw.) für sie viele Lebensbereiche organisierten. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation ist in diesen Zeiten für Individuen und Organisationen existenziell geworden (Siehe dazu auch Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition).

Drucker (1954): It´s the customer who determines what a business is

Die Massenproduktion hat mit der Standardisierung von Produkten und Dienstleistungen in vielen Lebensbereichen dafür gesorgt, dass sich die Lebensumstände verbessert haben. Die Art und Weise wie wir Produkte und Dienstleistungen herstellen, hat einen starken Einfluss auf unser Leben und auf das Bild von Menschen in unserer Gesellschaft. Die Arbeitsteilung (Taylorismus) hat dazu geführt, dass wir auch Menschen “in Schubladen” gesteckt und ihnen zielgruppengerechte Angebote gemacht haben. In den letzten Jahrzehnten merkt man allerdings, dass die Grenzen der einzelnen Zielgruppen (“Schubladen”) nicht mehr so scharfkantig zu ziehen sind. Das spüren immer mehr Unternehmen. Krampfhaft wird versucht, Kunden davon zu überzeugen (Marketingausgaben), dass sie das akzeptieren sollen, was angeboten wird – trotz horrender Marketingaussgaben allerdings mit durchwachsenem Erfolg. Der Trend zur Individualisierung bei gleichzeitiger Vernetzung (durch das Internet) bedeutet für Unternehmen, sich auf die einzelnen Kunden (Von der Massenproduktion zu Mass Customization), aber auch auf die einzelnen Mitarbeiter (Von Scientific Management zu Managing Diversity) einzustellen. Die Multiple Intelligenzen Theorie kann auf individueller, aber auch auf der organisationalen Ebene dazu beitragen, die Einmaligkeit und vielfältigen Fähigkeiten eines jeden Menschen als Chance zu nutzen. Um es mit Heinz von Foerster zu sagen: “Handle stets so, dass sich die Zahl Deiner Möglichkeiten erweitert”. Die Unternehmen sollten daher auf die äußere Komplexität mit erhöhter innerer Komplexität antworten, die dann allerdings nicht mehr fremdorganisiert sein kann, sondern größtenteils selbstorganisiert abläuft (Selbstorganisationsdisposition/Kompetenz). “It´s the customer, who determines what a business is” hat Peter Drucker schon 1954 festgestellt. Erst heute hat der einzelne Kunde die (technologischen) Möglichkeiten diesen Anspruch durchzusetzen. Unternehmen sollten sich rechtzeitig darauf einstellen…