Hängt der Wissenstransfer von den kognitiven Voraussetzungen ab?

Das Phänomen des Tragen Wissens habe ich in diesem Blog schon mehrfach thematisiert. Dabei ging es jeweils darum, dass Wissen kontextspezifisch konstruiert wird und somit nicht so einfach in einen anderen Kontext zu übertragen ist. Diese Situiertheit von Wissen wird allerdings von Süss angezweifelt.

Das die Relevanz des Situiertheitsansatzes anbetrifft, da sind Zweifel angebracht und nicht zuletzt deshalb, weil die zentrale These m.E. nicht haltbar ist, dass Wissen stets kontextgebunden und ein Transfer also gar nicht möglich ist. Ob ein Transfer zustande kommt (…) hängt stattdessen in erster Linie von den kognitiven Voraussetzungen ab, von Intelligenz und Wissen (Süss 2008).

Der Author argumentiert in seinem Beitrag, dass Intelligenz und Wissen dafür verantwortlich sind, ob – oder in welchem Maße – Wissenstransfer stattfindet. Die Frage, was unter “Intelligenz” verstanden wird, beschreibt der Autor wie folgt:

Ein Ziel der psychometrischen Intelligenzforschung ist die Klärung der Frage, ob Intelligenz eine einheitliche Fähigkeit zu konzeptualisieren ist (Spearman) oder besser durch mehrere, voneinander unabhängigen Einzelfähigkeiten (Thurstone, Guilford) beschrieben werden sollte. Heute zeichnet sich ab, dass beide Positionen richtig sind. Hierarchische Strukturmodelle postulieren ein bündel unterscheidbarer Einzelfähigkeiten, die allerdings zusammenhängen, und damit gleichzeitig die Annahme eines hochgradig generellen Faktors der Allgemeinen Intelligenz (“g”) begründen (Caroll 1993). Generell mein hier, dass diese Fähigkeit zur Lösung von sehr vielen und sehr unterschiedlichen Problemen gebraucht wird. Die empirische Grundlage für diese Annahme ist, dass Intelligenzleistungen, die bei ganz unterschiedlichen Aufgaben erbracht werden, stets schwach, aber positiv korreliert sind (Süss 2008:250-251).

Howard Gardner ist mit seiner Theorie der Multiplen Intelligenzen eher der Auffassung von Thurstone und Guilford, dass es eher voneinander unabhängige Fähigkeiten/Intelligenzen gibt.

Individuell, für eine große Anzahl von Personen und kostengünstig weiterbilden? Wie soll das denn gehen?

In der aktuellen Diskussion zur beruflichen Bildung (Weiterbildung) geht es einerseits um die Möglichkeiten der Digitalisierung und andererseits auch um die Unterstützung individueller Lernprozesse im Sinne von Personalisierung. Dass es möglich ist, massenhaft, individuell und kostengünstig weiterzubilden, habe ich im Rahmen meines berufsbegleitenden Studiums zum Experten für neue Lerntechnologien (heute HFU Akademie, Wissenschaftliche Weiterbildung der Hochschule Furtwangen) schon in 2003 untersucht.

In meinem Paper Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung (PDF) habe ich zunächst dargestellt, dass es möglich ist, die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization auf den Bildungsbereich zu übertragen. Es ist möglich, massenhaft und dennoch individuell – zu vertretbaren Kosten – weiterzubilden.

Danach stellte sich gleich die Frage, wie das umgesetzt werden kann. Die klassische Antwort war: Mit Hilfe von Konfiguratoren und Learning Objects. Das ist zwar eine gute Idee, doch lernen nicht die Objekte, sondern die Menschen, eben Subjekte. Meine Überlegungen mündeten letztendlich in dem Vorschlag, die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner zu nutzen.

An dieser Stelle möchte ich weiterhin erwähnen, dass ich diese Gedanken auch auf der Weltkonferenz zu Mass Customization and Personalization MCPC 2003 vorgestellt habe: Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany [Download].

Das EU-Projekt MIapp

MIapp-Logo

Vorgeschichte

In den 90er Jahren habe ich mich intensiv mit dem Trend zur Individualisierung beschäftigt. Neben der gesellschaftlichen Dimension gibt es dabei auch einen wirtschaftlichen Aspekt, der in der hybriden Wettbewerbsstratgie Mass Customization and Personalization zum Ausdruck kommt und in Open Innovation seine Fortsetzung findet.

Ich habe mich damals gefragt, ob es möglich ist, Mass Customization and Personalization auch auf den Bildungssektor zu übertragen. Während meiner Weiterbildung zum Experten für Neue Lerntechnologien habe ich diese Frage 2001 etwas genauer untersucht (Mass Customization in der Bildung: Veröffentlichungen). Das erste Ergebnis war durchaus positiv, denn die neuen Technologien ermöglichten es, Content (Learning Objects) mit Hilfe definierter Standards (z.B. SCORM) individuell zu konfigurieren.

Problematisch war aus meiner Sicht allerdings schon damals, dass es ja nicht die sogenannten Learning Objects sind, die lernen, sondern die Teilnehmer. Die aus meiner Sicht zu starke Technologieorientierung sollte daher durch eine stärkere Teilnehmerorientierung abgelöst werden:

Wie kommt man nun von E minus Learning (E-Learning) zu Learning + E?

Stellt man den Teilnehmer, und die damit verbundene Ermöglichungsdidaktik in den Mittelpunkt der Überlegungen, so wird schnell deutlich, dass man eine Theorie benötigt, die den Teilnehmer in all seinen Dimensionen beschreiben kann. Den Zusammenhang habe ich dann in meinem Paper zur ElearnChina2003 (Veröffentlichungen) erläutert, in dem ich vorschlage, die Multiple Intelligenzen Theorie zu nutzen.

Das EU-Projekt MIapp (2004-2006)

Das EU-Projekt MIapp: The application of Multiple Intelligences theory to increase the effectiveness of e-learning, recruitment practices and Internet search engines. Co-financed by the Leonardo Davinci Program (PT 04/PP/11/24/458). Der Flyer informiert Sie ausführlich über das Projekt.

Natürlich gibt es viele Profiling-Instrumente auf dem Markt, dennoch war ich erstaunt darüber, dass die in den USA und anderen Ländern der Welt häufig eingesetzte Multiple Intelligenzen Theorie in Europa so wenig im Bildungssektor (aber auch in Unternehmen) beachtet wurde. Ich habe daher die University of Information, Technology and Management (UITM) in Rzeszów (Polen) gefragt, ob wir ein Pre-Proposal einreichen wollen. Gesagt – getan. Gemeinsam mit verschiedenen europäischen Partnern (Deutschland, Polen, Spanien, Österreich und Griechenland) haben wir dann den Antrag gestellt. Die Freude war groß, als wir erfuhren, dass das Projekt MIapp genehmigt wurde. Wir haben virtuell zusammengearbeitet, und uns im Projektzeitraum immer wieder zu Meetings getroffen:

  • MIapp-Meeting an der Universität Barcelona, Spanien
  • MIapp-Meeting bei FORTH auf Heraklion, Griechenland
  • MIapp-Meeting an der Universität in Freiburg, Deutschland
  • MIapp-Abschluss-Meeting an der UITM in Rzeszów, Polen (Program of the Seminar).

Auch Audi orientiert sich an den Multiplen Intelligenzen von Howard Gardner

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Es ist schon sehr interessant zu sehen, wie sich immer mehr Unternehmen an den Multiplen Intelligenzen von Howard Gardner orientieren. Im September 2017 stelle beispielsweise Audi die Studie Aicon vor, bei der sich die Entwickler direkt an den 8 Intelligenzen von Howard Gardner orientiert haben: 8 Intelligences. The Audi Aicon has them all.

The idea of intelligence plays a crucial role: we are talking about technologies that are not only able to apply knowledge but also to acquire it, they are not only able to gather information from the environment but to develop skills and expertise – just like human intelligence.

Auf der Website wird jede der 8 Intelligenzen separat thematisiert. Jede Person wird diese verschiedenen Dimensionen unterschiedlich aufnehmen – und zwar nicht einzeln, sondern immer zusammen und in unterschiedlicher Ausprägung.

Es wird immer deutlicher, dass die Multiplen Intelligenzen eine bessere Passung zu den heutigen komplexen Herausforderungen/Problemstellungen haben. Da die Multiplen Intellogenzen entwickelbar sind, stellen Sie auch ein veränderbares Mindset dar….. Bitte informieren Sie mich, wenn Sie mehr über die Multiplen Intelligenzen von Howard Gardner wissen möchten.

Multiple Intelligenzen: Dr. Howard Gardner erhält den Lifetime Achievement Award 2017 von der MENSA Foundation

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Dr. Howard Gardner hat in jetzt mehr als 30 Jahren die Multiple Intelligenzen Theorie entwickelt – auch gegen sehr starken Widerstand der Vertreter einer Generellen Intelligenz mit dem “allseits beliebten” Intelligenz-Quotienten (IQ). Es ist daher außergewöhnlich, dass gerade die MENSA-Foundation Dr. Howard Gardner mit dem Lifetime Achievement Award 2017 ehrt, da sich die Mitglieder der MENSA-Foundation gerade wegen ihrem hohen IQ gegenseitig gratulieren… Ich befasse mich seit vielen jahren mit der Multiplen Intelligenzen Theorie, auch in Forschungsprojekten wie MIapp (2004-2006) oder als Experte im Projekt InPath usw. Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk. Sollten Sie an dem Thema interessiert sein, so sprechen Sie mich bitte wegen einem (kostenlosen) persönlichen Gespräch an.

Intelligenztest wurde vor 110 Jahren vorgestellt

miappIntelligenz, und damit verbunden der Intelligenz-Quotient IQ, durchdringt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Kaum jemand weiß allerdings, wie alles begann. Der WDR hat vor 10 Jahren, also zum 100. Jahrestag, einen Beitrag dazu veröffentlicht: 28. April 2005 – Vor 100 Jahren: Erster Intelligenztest. Darin ist erwähnt, dass schon Binet darauf hingeweisen hat, den Test nicht zu überschätzen:

Binet warnt davor, den Test zu überschätzen: Die Skala erlaubt keine Messung der Intelligenz, da intellektuelle Fähigkeiten nicht addiert und somit nicht wie lineare Oberflächen gemessen werden können. Doch Binets Warnung verhallt ungehört. Am Ende von Intelligenztests steht schon bald als Ergebnis eine Zahl – der so genannte Intelligenzquotient, kurz IQ.

Die Bestimmung des IQ wurde in den letzten 110 Jahren perfektioniert. Im Sinne der Industrialisierung, ist das durchaus passend, da in einer industriell geprägten (konditionierten?) Gesellschaft versucht wird, alles messbar zu machen. In den letzten Jahrzehnten gibt es allerdings auch immer wieder Kritik an dem Konstrukt Intelligenz-Quotient (Sternberg, Gardner, usw.), die allerdings von den etablierten Forschern und Nutzern teilweise recht harsch zurückgewiesen wird. Das ist auch nicht verwunderlich, da eine offenere Interpretation des Intelligenzbegriffes viele Forschungseinrichtungen und Beratungsunternehmen infrage stellen würde… Mal sehen, wie sich alles in den nächsten Jahren entwickelt. Siehe dazu z.B. EU-Projekt MIapp, EU-Projekt InPath und  Multiple Intelligenzen.

SWR 2 berichtet über Intelligenz, IQ und Intelligenzen

iq-swr2Der Intelligenzbegriff ist sehr schillernd und wird nicht nur heute sehr kontrovers diskutiert. Ob in der Schule, im Beruf oder als private Person kommt man um den Begriff nicht herum. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch Fernsehsender wie der Bayerische Rundfunk oder – wie jetzt – der SWR 2 mit dem Konstrukt befassen. In der Einleitung zur Sendung Der vermessene Mensch ist folgendes zu lesen: ”

Wie sinnvoll sind Intelligenztests?

Der IQ, der “berühmt-berüchtigte” Intelligenzquotient, soll die Problemlösefähigkeit eines Menschen auf einen objektiven Punktwert bringen. Er macht das Testergebnis einer Person mit dem anderer Personen statistisch vergleichbar. Hat damit jeder Mensch einen eigenen, festen Intelligenz-Quotienten? Und ist das Messen kognitiver Leistungen dem menschlichen Geist wirklich angemessen?

Im Text wird neben dem IQ auch darauf hingewiesen, dass es durchaus auch alternive Deutungsmuster zum Intelligenzbegriff gibt, beispielsweise die von Howard Gardner vorgeschlagene Theorie (das vorgeschlagene) Modell der Multiplen Intelligenzen. Es freut mich, dass der Intelligenz-Quotient (IQ) auch kritisch hinterfagt wird, denn es kommt auch in der Intelligenzforschung zu einer Entgrenzung des Phänomens (Sternberg, Salovay und Mayer, Goleman usw.). Neben dem angesprochenen Text gibt es sogar auch eine Audiodatei als Download (25 MB). Siehe dazu auch

Howard Gardner: MI-OASIS-Website

mioasisDie Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner wird heftig kritisiert und auf der anderen Seite heftig vertreten. Dabei gibt es auf beiden Seiten durchaus viele Mißverständnisse, die dazu beitragen, dass das Bild der Multiplen Intelligenzen Theorie manchmal etwas unscharf ist. Es ist daher gut, dass Howard Gardner nun die neue Webseite MI-OASIS (Multiple Intelligences – Official Authoritative Site of Multiple IntelligenceS) veröffentlicht hat. Das Wörtchen “authorative” soll wohl darauf hinweisen, dass nicht überall die jeweiligen Kompetenzen vorhanden sind, um die Multiple Intelligenzen Theorie angemessen zu erläutern. Nach dem von mir initiierten EU-Projekt MIapp (2004-2006) und den Erfahrungen als externer Experte für die MI-Theorie im EU-Projekt InPath, kann ich dem nur zustimmen.

Der IQ soll ein Mythos sein? Eine groß angelegte Studie soll das belegen.

In dem Artikel Hamshire, A.; Highfield, R. R.; Parkin, B. L.; Owen, A. M. (2012): Fractionating human intelligence. In: Neuron, Volume 76, Issue 6, 1225-1237, 20 December 2012 argumentieren die Autoren aufgrund einer groß angelegten Studie, dass der Intelligenz-Quotient (IQ) ein Mythos ist. Siehe dazu auch Western-led research debunks the IQ myth, IQ a myth – study says, Intelligenz: Adieu IQ? Ähnlich argumentiert auch Howard Gardner mit seiner Multiple Intelligenzen Theorie, wobei er den IQ als Teil eines multiplen Systems sieht (MI und IQ). In meiner Forschungsarbeit gehe ich weiterhin davon aus, dass eine Person diese verschiedenen Intelligenzen in dem jeweiligen Handlungskontext aktiviert und somit zeigt. Diese Multiplen Kompetenzen zeigen sich als Emergenzphänomene auf den verschiedenen Ebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Howard Gardner erhält den Prinz-von-Asturien-Preis

Howard Gardner erhält im Herbst den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis, der mit 50.000 EUR dotiert ist. Die Jury begründet die Auszeichnug damit, dass sich Howard Gardner mit der Theorie der Multiplen Intelligenzen vorbildlich für die Verbesserung des Erziehungssystems eingesetzt hat (Quelle: Der Standard). Es freut mich sehr, dass Howard Gardner und die Multiple Intelligenzen Theorie in einem europäischen Land herausgestellt wird. Im “Kontinent des Intelligenz-Quotienten ist es immer noch schwer, auf die Multiple Intelligenzen Theorie aufmerksam zu machen. Der Preis wird allen Auftrieb geben, die sich mit den Gedanken Howard Gardners befassen. Interessant ist, dass Howard Gardner den Preis in der Kategorie Sozialwissenschaften erhält… In meiner Dissertation Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebene Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk (Erscheinungstermin: Sommer 2011) beziehe ich mich auf Gardner und die Theorie der Multiplen Intelligenzen.