Es ist überall zu sehen: Globalisierung, Individualisierung und Flexibilisierung (Theorie der reflexiven Modernisierung) führen zur Entgrenzung von Arbeit. Die früher viel mehr fremdorganisierte Arbeit wird immer mehr selbst organisiert (Kompetenz). Ist das nur eine Modeerscheinung, oder ist da wirklich etwas dran (Apitzsch)? Immerhin ist die Theorie der reflexiven Modernisierung eine Gesellschaftstheorie, die auch noch von Soziologen (Beck/Giddens) beschrieben wurde. Das alleine schreckt (traditionell) betriebswirtschflich denkende Manager schon ab. Soziologie hat im Unternehmen nichts verloren – meinen sie. Was man mit flexibler, selbstorganisierter Arbeit erreichen kann, ist in dem Artikel Arbeitsplatz? Überall (SPIEGELONLINE vom 13.07.2010) nachzulesen. Die Firma Best Buy aus den USA hat die Produktivität um 35% steigern können, indem sie den Mitarbeitern vertraut, Arbeitsleben und Privatleben (also Lebenszeit) selbst organisieren zu können. Ich höre schon die Bedenkenträger: Das ist in den USA, bei uns geht so etwas nicht. Doch, es geht. Immer mehr Unternehmen und Mitarbeiter sehen die vielen Chancen der Veränderungen und darüber bin ich sehr froh. In Deutschland besteht immer noch ein Mißverhältnis zwischen einem Bewusstsein für die Vergangenheit und einer notwendigen Begeisterung für die Zukunft. Die Medien machen dabei munter mit und schüren die “German Angst”. Jede Veränderung ist ein “Bedrohung” und jeder alternative Vorschlag eine “Forderung”. Lassen Sie sich von diesen tendenziellen Beeinflussungen nicht davon abbringen, an eine spannende Zukunft zu glauben. Wir sind schon mittendrin…
Ohne soziale Interaktion kein ICH? Wie ist das denn zu verstehen?
In der Printausgabe von Die Zeit (Nr 24 vom 10. Juni 2010, S, 37) ist ein Interview mit Wolfgang Prinz, seit 2004 Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaftten in Leipzig, zu lesen. Der Titel “Die soziale Ich-Maschine” ist gut gewählt, denn im Untertitel heißt es: “Unser Gehirn erzeugt Subjektivität. Doch ohne Gegenüber geht das nicht”. Wolfgang Prinz vertritt die These, dass “das Ich ein Konstrukt ist, das im sozialen Kontext entsteht”. Konzepte, die ein “Ich”, oder auch “Subjektivität” usw. ohne den Kontextbezug darstellen und analysieren wollen, wären somit zu hinterfragen. Wir im “Westen” verstehen uns als “autonome und unabhängige Subjekte”, in Asien definieren sich die Subjekte eher als “Glieder in sozialen Netzwerken”. Bezüge zur Individualisierung (Theorie der Reflexiven Modernisierung, Mass Customization…) sind dabei unübersehbar. Gerade bei Mass Customization wird der Begriff “Indivisualisierung” sehr eng ausgelegt und weniger im sozialen Kontext bestimmt. Hier gibt es Verbesserungsbedarf. Ein insgesamt spannendes Interview – Danke.
Kuri, J. (2010): Die Welt bleibt unberechenbar
Eben habe ich in der Printausgabe der FAZ vom 04.06.2010 den Artikel Die Welt bleibt unberechenbar von Jürgen Kuri (Chefredakteur des Computermagazins c´t) gelesen. Es ist erstaunlich, dass jemand, der sich beruflich fast ausschließlich mit Computern befasst, einen “flammenden Beitrag” gegen die Herrschaft der allgegenwärtigen Algorithmen schreibt – prima. Der Autor kritisiert, dass genau definierte Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems (Algorthmen) nicht ausreichen und widerspricht damit der Prognostizierbarkeit komplexen Verhaltens sowie der Zahlengläubigkeit der Gesellschaft, des Staates, der Unternehmen. Dabei bezieht sich Jürgen Kuri auf viele Beispiele aus der Vergangenheit, u. a. auf den Film Colossus – The Forbin Project aus dem Jahr 1970 und plädiert letztendlich für “ein Zeitalter der digitalen Aufklärung”. Siehe dazu auch If you cannot measure it, you can not manage it oder Die ausschließliche Orientierung an Finanzgrößen ist übersimplifizierend und somit untauglich
Innovationsforschung: Knowledge Angel oder besser Competence Angel?
Der Artikel There must be an angel – oder? (Managerseminare Juni 2010, S. 14) verweist auf ein interessantes Forschungsfeld des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI). Untersucht werden hier KIBS (Knowledge-Intensive-Business-Services), also wissensintensive Dienstleistungen. Dabei konnten die Forscher herausarbeiten, dass Innovationen bei den KIBS von bestimmten “Kernpersonen” abhängen. Anhand von Inteviews, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, konnte man nachweisen, dass es diese Knowledge Angels wirklich gibt. In dem Artikel liest man auch folgendes: “Sie haben ein Gespür dafür, die richtigen Personen zur Lösung von Aufgaben zusammenzubringen”. Recherchiert man noch ein wenig zu dem Thema, findet man auch wissenschaftliche Paper, die den Hintergrund ein wenig genauer beleuchten: Müller/Zenker/Héraud (2009): Entering the KIB´s Black Box: There must be an angel! (or is tehre somthing like a knowledge angel?) Auf Seite 7 wird der Knowledge Angel abgegrenzt vom Business Angel, und auf Seite 23 liest man etwas von “feeling before the others”. Diese Charakteristika von Knowledge Angels scheint mir etwas zu kurz gegriffen. Die auf Erfahrungswissen basierenden impliziten Dimensionen einer Person mit ihrer beruflichen Kompetenz (Multiple Kompetenzen) sind aus meiner Sicht entscheidend für den modernen und hoch kompexen Innovationsprozess (Closed Innovation und Open Innovation). Die ganze Person und die ganze Arbeit sind hier zu thematisieren. Handelt es sich daher nicht eher um einen Competence Angel?
Apitzsch, B. (2010): Flexible Beschäftigung, neue Abhängigkeiten
In dem Buch Apitzsch, B. (2010): Flexible Beschäftigung, neue Abhängigkeiten geht es um “Projektarbeitsmärkte und ihre Auswirkungen auf Lebensläufe”. Flexibilieisrung und Entgrenzung bewirken, dass das Normalarbeitsverhältnis immer öfter zu Gunsten von Projektarbeit aufgelöst wird. Die Autorin zeigt anhand der Projektarbeitsmärkte in Architektur und Medien wie sich die Abkehr vom ´fordistischen Produktionsmodell´ in den genannten Branchen konkret auswirkt. Das Buch gibt dabei differenzierte Einblicke. Ergänzend wäre es schön gewesen, wenn die Autorin noch mehr auf die Verbindungen zur Theorie der reflexiven Modernisierung, zur Rückkehr des Subjekts in den Prozess der Arbeit, zu Unsicherheit/Unbestimmtheit und Komplexität eingegangen wäre. Siehe dazu auch Projektmanager (IHK).

Bei der Arbeitssituationsanalyse rückt ´das Ganze der Arbeit´ in den Mittelpunkt
Das Buch Meyn, Ch./ Peter, G. (2010): Arbeitssituationsanalyse. Bd. 1: Zur phänomenologischen Grundlegung einer interdisziplinären Arbeitsforschung befasst sich mit der veränderten Arbeitswelt und den veränderten Arbeitssituationen: “Arbeitssituationen als subjektive wie objektive Gegebenheiten von Arbeitshandlungen werden angesichts der Flexibilisierung und Entgrenzung von Erwerbsarbeit zentraler Gegenstand der empirischen Arbeitsforschung. Die arbeitsbezogenen Wissenschaften müssen zukünftig ´das Ganze der Arbeit´ stärker berücksichtigen und dabei auch dem Prozess der Subjektivierung Rechnung tragen.”
Die Beschreibung legt den Schluss nahe, dass bei der Beschreibung der Arbeitssituationen bisher eben nicht “das Ganze der Arbeit” und somit nur ein Teil (körperliche Arbeit, Wissensarbeit…) untersucht und betrachtet wurde. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Allerdings wird diese Veränderung auch weit reichende Folgen für Unternehmen haben…
Siehe dazu auch Fritz Böhle: Der Mensch als geistiges und praktisches Wesen, Subjektivierung von Arbeit, Die “Rückkehr des Subjekts” in die betriebliche Organisation von Arbeit

Vernetztes Denken spielerisch erlernen und in allen Bereichen der Gesellschaft nutzen
Liest man tagtäglich Zeitungen, sieht fern, surft im Netz oder hört Radio, so fällt auf, dass immer wieder einfache Zusammenhänge dargestellt werden. Klimaerwärmung? Klar das Auto ist schuld. Finanzmarktkrise? Klar die Banker sind schuld. Es ist doch alles so einfach. Es gibt eine Wirkung und schwupps, hier ist die Ursache. Doch die Realität ist komplexer, es gibt viele Verbindungen und Verzweigungen in einer globalisierten Welt, die man auf den ersten Blick nicht erkennt (Komplexität). Es ist deshalb sehr erfreulich, wenn schon in jungen Jahren mit dem vernetzten Denken nach Frederik Vester begonnen wird. Mit der rundbasierten Simulation ecopolicy® können Schüler spielerisch die Zusammenhänge erkunden und dabei für die Zukunft wichtige Erkenntnisse gewinnen. Professor Malik erläutert die Kraft des vernetzten Denkens und verweist darauf, dass die Fähigkeit, vernetzt zu denken “die wichtigste Eigenschaft für eine funktionierende Gesellschaft des 21. Jahrhunderts” ist – auch für Fühungskräfte, Politiker (Siehe Verein der Versager) usw. Die Vernetzung ist auch Bestandteil der Wissensbilanz – Made in Germany. Beim Wirkungsnetz bezieht sich das Strukturmodell ausdrücklich auf Vester…

Kommt es zu einer Entgrenzung wirtschaftswissenschaftlicher Theorien?
DIE ZEIT hat in der Ausgabe vom 12.05.2010 unter dem Titel “Gier frisst Verantwortung” (Uwe Jean Heuser, S. 53) zwei wichtige Bücher zur aktuellen Krise vorgestellt. Es handelt sich um Stiglitz, J. E. (2010): Im freien Fall und um Roubini/Mihm (2010): Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft. Die große Bekanntheit der Autoren lässt auf neue Erkenntnisse hoffen. Der ZEIT-Artikel stellt beide Bücher sehr gut gegenüber. Interessanterweise findet sich auf der genannten Seite auch ein Hinweis auf Schmidt, S. (2010): Markt ohne Moral. Gerade in Zeiten des Booms hat man im Finanzsystem keine Moral gekannt. Jetzt, da viele Wetten geplatzt sind, wird wieder von Moral gesprochen. Wer weiß wie lange noch. Die Krise an den Finanzmärkten hat gezeigt, dass die allseits beliebten Pole (Markt-Staat, Gewinn-Moral, Arbeit-Freizeit, usw.) nicht mehr gelten. Es kommt zu einer Entgrenzung der jeweiligen Positionen (Dichotomien) und somit eher zu vielfältigen Optionen in einer globalisierten Welt. China z.B. zeigt, dass man in einem “politisch-totalitären” System, marktwirtschaftliche Strukturen ermöglichen kann. In Europa und in den USA reden sogar Politiker, die eher “rechts” stehen, von staatlichen Eingriffen in das ach so hoch gelobte marktwirtschaftliche System. Die Theorie der reflexiven Modernisierung kann Hinweise darauf geben, wie diese Entwicklungen zu erklären sind. Interessanterweise kommen die guten Ansätze weniger aus den Wirtschaftswissenschaften, sondern eher aus der Soziologie. Viele Soziologen finden allerdings nach ihrem Studium kaum eine Anstellung (im Gegensatz zu BWLer…). Es wäre gut, wenn Politiker/Banker usw. einmal mit Geisteswissenschaftlern reden würden. Es ist kein Wunder, dass die Wirtschaftssoziologie in den letzten Jahren immer stärker beachtet wird (Smelser, Swedberg,…).
Unsicherheit und Unbestimmtheit akzeptieren?
In dem Interview “Konjunkturprognosen sind absurd” mit Prof. Homburg (SZ vom 11.05.2010, S. 26) geht es um den Unsinn von Konjunkturprognosen, die immer wieder gerne von der Politik instrumentalisiert werden. Herr Homburg verweist darauf, dass wir lernen müssen, “die Unsicherheit zu akzeptieren”. Aber wollen wir nicht alle “sichere Arbeitsplätze”, “sichere Renten” usw. Diese Klischees werden dann ja auch von der Politik bedient – auch wenn klar ist, dass man den Anforderungen nicht gerecht werden kann. Der Umgang mit Unsicherheit bzw. Unbestimmtheit ist darüber hinaus vom Umgang mit Risiken zu unterscheiden. In komplexen Situationen zeigen sich die Grenzen, der rationalen (scheinbar objektiven) Analyse. Wir sollten nicht krampfhaft an den Instrumenten der Industriegesellschaft festhalten, die rationale Beherrschbarkeit postuliert, sondern die Chancen der neuen Entwicklungen nutzen (Reflexive Modernisierung). Es stellt sich die Frage, wie Organisationen und Individuen in dem neunen Umfeld Handlungfähig bleiben können. Es geht um die Handlungsfähigkeit unter Unsicherheit/Unbestimmtheit. Diese Kompetenz geht über die oftmals propagierte Handlungskompetenz hinaus. Siehe dazu auch Mitchell/Streek (2009): Complex, historical, self-reflective. Expect the Unexpected!
Kultur- und Kreativwirtschaft: Was ist damit gemeint?
Auf der Website Kreativwirtschaft Deutschland erfährt man etwas über die Abgrenzung der jeweiligen Begriffe: “Kultur- und Kreativwirtschaft meint demnach alle Aktivitäten zur Herstellung und zum Vertrieb von Kulturprodukten mit dem Ziel Geld zu verdienen”. Weiterführend wird auf diesen Beitrag verwiesen. Weiterhin wird auf die Unterschiede zwischen Kultur- und Industriegüter hingewiesen, wobei diese Dichotomie aus der Sicht einer reflexiven Modernisierung kritisch gesehen werden muss. Die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung zählt fast 5 Mio. Menschen zur Kultur- und Kreativwirtschaft (Weitere Fakten) und verweist deutlich auf die wirtschaftlichen Effekte. Die deutsche Bürokratie benötigt wohl immer noch (ganz im Sinne von Max Weber) genaue Zuständigkeiten (Kompetenzen der Bürokratie). Man liest auch etwas von “innovativen kleinen Kulturbetrieben”… Es ist gut, wenn es Initiativen gibt, die auf immaterielle Dimensionen hinweisen. Dabei ist allerdings nicht so klar, wie sich diese Themen von der propagierten Wissensökonomie unterscheiden. Ist kreative, kulturelle Arbeit Wissensarbeit? Wenn es das Ziel ist, aus der Kreativität heraus Geld zu verdienen (Siehe oben), stellt sich natürlich weiterhin die Frage, ob es sich nicht um Innovationen handelt – also um die Umsetzung der kreativen Ideen. Im “Zeitalter der Nebenfolgen” und dem “Wegfall der Rationalisierungsunterstellungen” sollte eine mehrdimensionale/multiple und komplexe Sicht zugelassen werden. Benötigen wir immer neue Schubladen, oder immer mehr Entgrenzungen?