Komplexität im Unternehmen als Kopierschutz?

Komplexität ist ein Begriff, den viele Manager nicht so gerne hören, denn Sie denken dabei an Chaos und Unkontrollierbarkeit. Da Manager gerne “alles unter Kontrolle” haben wollen, versuchen sie oft, Komplexität zu reduzieren. Das führt allerdings häufig zu verkürzten und realitätsfernen Entscheidungen. In dem Artikel Chaos im Kinderzimmer (FTD vom 01.04.2010) bedient der Redakteur die eingangs erwähnten Assoziationen der Manager und entwickelt daraus eine entsprechende Überschrift. Diese wird allerdings dadurch nicht passender, denn im Artikel geht es um komplexe Geschäftsprozesse in Unternehmen und weniger um Chaos. Der Redakteur sollte sich mit den Begriffen ein wenig genauer auseinander setzen und weniger auf Effekthascherei aus sein (Oder ist die Überschrift etwa als Aprilscherz gemeint?). Empfehlenswert ist in dem Zusammenhang z.B. Kappelhoff, P. (2003): Chaos und Komplexitätstehorie. Im Kontext eines Unternehmens geht es auch nicht um Komplexität allgemein, sondern um die Komplexität sozialer Systeme. Bemerkenswert ist in dem FTD-Artikel ein Satz von Prof. Wrona: ” Weil Außenstehende die genauen Erfolgsfaktoren des Unternehmens nicht entschlüsseln können, fungiert die Komplexität als Kopierschutz.”  Dabei bezieht Prof. Wrona sich auf das Unternehmen Apple Inc. Komplexität im Unternehmen zulassen, um nicht so leicht kopiert werden zu können? Der Umgang mit Komplexität im Unternehmen als Alleinstellungsmerkmal? Das bedeutet allerdings ein Management durch Komplexität. Doch wer kann das schon?

Fritz Böhle: Der Mensch als geistiges und praktisches Wesen

Der Vortrag Böhle, F. (2006): Der Mensch als gesitiges und praktisches Wesen (Video, Ringvorlesung mit Folien) hat den Untertitel “Verborgene Seiten intelligenten Handelns”. Der Autor weist sehr überzeugend darauf hin, dass die klassischen Unterscheidungen Mensch vs. Natur, geistige Arbeit vs. körperliche Arbeit usw. obsolet geworden sind. Experten beispielsweise nutzen für die Problemlösung oftmals ihr “Gespür”, oder man sagt, sie haben einen “guten Riecher” für die Situation gehabt. Gerade in komplexen Problemlösungssituationen zeigen sich Grenzen der rationalen, scheinbar objektiven Analyse. Es kommt dann stattdessen auch auf die subjektiven Eigenschaften eines Menschen an. Dieses sowohl-als-auch mit ihren vielfältigen Rückkopplungen sind der Schlüssel zur Bewältigung von Unbestimmtheit/Unsicherheit. Es wird Zeit, dass das Menschenbild entsprechend erweitert wird. Siehe dazu auch Multiple Intelligenzen oder Multiple Kompetenzen.

Die „Rückkehr des Subjekts“ in die betriebliche Organisation von Arbeit

Dass man die „Rückkehr des Subjekts“ in die betriebliche Organisation von Arbeit (Moldaschl 2002, Sauer 2005) überhaupt hervorheben muss, ist schon erstaunlich. In den Unternehmen werden über die objektiven Qualifikationsanforderungen hinaus “extrafunktionale” Qualifikationen (z.B. sozial-kommunikative und kreative Kompetenzen) erwartet, die dem Subjekt entspringen (vgl. Frey 2009:20). Die bisher vorherrschende Vorstellung, dass berufliche Qualifikation ausreicht, um sich in dem turbulenten Marktumfeld zu beweisen, ist zu ergänzen. Formale Qualifikationsnachweise reichen heute einfach nicht mehr aus. Die “ganze” Person mit ihrer besonderen Biographie ist gefordert. Eine Diskussion über die Austauschbarkeit von Mitarbeitern läuft somit ins Leere.

Unternehmen als sozialer Organismus – Unsinn, oder?

Das Bild vom Unternehmen als Maschine hat ausgedient. Andere Methaphern werden gesucht. Dabei kommt der Begriff ´Organismus´ häufig vor. In dem Interview Reflexion statt Gehirnwäsche (wiwo.de, 18.02.1010) mit Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Telekom, wird darauf Bezug genommen: “Ich muss verstehen, dass Unternehmen nicht nur betriebswirtschaftliche, sondern soziale Organismen sind. Die Zahlen kommen am Schluss, sind das Ergebnis sozialen Handelns oder psychologischer Wirkung. Ich muss wissen, dass ich als Manager Teil dieses Organismus bin”. Diese Erkenntnis ist erstaunlich und folgenreich. Ein Unternehmen ist somit nicht nur ein Organismus, sondern ein sozialer Organismus. Diese kleine Ergänzung hat weitreichende Folgen, denn die sozialen Prozesse mit ihrer Komplexität kommen damit stärker in den Fokus der Manager  Die Telekom hat sich damit eine große Aufgabe gestellt: Man wird versuchen, die bestehenden Deutungsmuster der Mitarbeiter zu transformieren – immerhin eine zentrale Aufgabe von Erwachsenenbildung. Hätte man das gedacht, dass das harte Business sich auf die weichen sozialen Austauschprozesse reduzieren lässt…? In Zeiten einer neuen Modernität (Reflexive Moderne) ist diese Erkenntnis allerdings notwendig, um das Handeln unter Unsicherheit zu fördern. Siehe dazu auch Complex, Historical, Self-Reflexive: Expect the Unexpected.

BWP 1/2010: Berufliche Kompetenzen messen

Das Heft BWP 1/2010: Berufliche Kompetenzen messen befasst sich ausschließlich mit dem aktuellen Thema der Kompetenzmessung im beruflichen Umfeld: “Die Beiträge im Themenschwerpunkt dieser Ausgabe stellen zentrale Modelle und Verfahren zur Kompetenzmessung in der Berufsbildung vor und beleuchten diese vor ihrem Entstehungskontext und mit Blick auf ihre Ziele.” An den verschiedenen Beiträgten ist abzulesen, wie vielfältig das Thema ist und dass es gut ist, wenn mit diesem Heft ein wenig Transparenz geschaffen wird. Obwohl das Thema Kompetenz schon seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, bekommt es durch die gesellschaftlichen Entwicklungen der Reflexiven Modernisierung und der damit verbundenen Handlung unter Unsicherheit eine neue zentrale Rolle. Siehe dazu auch Komplexität, Selbstorganisation oder auch Multiple Kompetenzen.

FG Berufsbildungsforschung (2009): Berufliche Kompetenzen messen

In dem Zwischenbericht der FG Berufsbildungsforschung (2009): Berufliche Kompetenzen messen geht es um das Projekt KOMET der Bundesländer Bremen und Hessen. Die Autoren skizzieren einen Begründungsrahmen für ein zeitgemäßes Kompetenzmodell. Auf Seite 6 werden vier Eckpunkte genannt. Im ersten Punkt wird gleich auf die Arbeiten von Howard Gardner zur Multiple Intelligenzen Theorie verwiesen. Es zeigt sich auch hier wieder die enge Verbindung zwischen Intelligenz- und Kompetenzdebatte. Siehe dazu auch Multiple Kompetenzen.

Wie hängen Immaterielle Werte, Lernkultur, Kompetenzentwicklung und Organisationales Lernen zusammen?

lernkulturenOft ist es erforderlich, Begriffe im Zusammenhang darzustellen. Schüßler/Thurnes (2005) haben eine Darstellung gewählt, die z.B. die Begriffe Immaterielle Werte, Materielle Werte, Kompetenzentwicklung, Lernkultur und organisationales Lernen übersichtlich zusammenstellt. Die aktuelle Diskussion über verschiedenen Themen ist häufig sehr auf einen Teilaspekt gerichtet, sodass wichtige Beziehungen untereinander verloren gehen. Doch erst im Zusammenhang versteht man, dass sich die Begriffe zwar oft ähneln, ihre Bedeutung im Kontext einer Reflexiven Modernisierung allerdings anders ist….

Kompetenzthematik innerhalb der Arbeitswelt

Im Jungel der Kompetenzen (Huber 2004) deuten sich zumindest in der Arbeitswelt zwei Stränge ab (Truschkat (2008 und 2010): Der strukturell-normative und der individuell-dispositive Ansatz. Der zuerst genannte sieht Kompetenzen eher aus der Unternehmenssicht (Kernkompetenzen und Bedarf). Der zweite Ansatz geht von indivuellen Kompetenzen aus, die den selbstorganisierten Umgang mit komplexen Veränderungen in der Arbeitswelt ermöglichen (Selbstorganisationsdisposition). Was fehlt, ist ein Gesamtansatz, der das Unternehmen, das Individuum, Teams und Netzwerke integriert. Möglicherweise kann das Konzept der Multiplen Kompetenz dazu beitragen.

Mitchell, S.; Streek, W. (2009): Complex, Historical, Self-reflexive: Expect the Unexpected!

Dem Working Paper 09/15 Mitchell, S.; Streek, W. (2009): Complex, Historical, Self-reflexive: Expect the Unexpected! des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung ist einfach nur zuzustimmen – Zusammenfassung: “Die Gegenstandswelt der Sozialwissenschaften ist komplex, historisch und reflexiv. Sie unterliegt nicht-linearen Effekten, es gibt sie immer nur einmal, sie versteht die über sie entwickelten Theorien und reagiert auf sie mit eigenem Willen. Den emergenten, historisch kontingenten und selbstorganisierenden Charakter der sozialen Welt zu erkennen und Politikinstrumente zu finden, die ihrer Komplexität gerecht werden, erfordert ein verändertes Konzept von Wissenschaft im Allgemeinen und von Wirtschaftstheorie im Besonderen”. Es wird Zeit, dass Politiker, Manager und Wissenschaftler das merken… aber wer will das schon?

Kurtz, T.; Pfadenhauer, M. (Hrsg) (2010): Soziologie der Kompetenz

Das Buch Kurtz, T.; Pfadenhauer, M. (Hrsg.) (2010): Soziologie der Kompetenz greift einen interessanten Aspekt der Kompetenzdebatte auf, eben die Rolle des Kompetenzkonstrukts in der Soziologie. Auf der Website des Verlags für Sozialwissenschaften heisst es dazu: “Kompetenz ist als eigenständiges Thema in der Soziologie bisher nicht, jedenfalls nicht auffällig, in Erscheinung getreten. Wer im Rahmen der Sozialwissenschaften von Kompetenzforschung spricht, denkt vor allem an Disziplinen wie Psychologie und Pädagogik. Insbesondere in der Empirischen Bildungsforschung wird der Kompetenzbegriff seit einigen Jahren in das Zentrum vieler Untersuchungen gestellt. Ein Grund dafür, dass ‚Kompetenz’ bislang kaum in den Fokus von Soziologen geraten ist, dürfte darin bestehen, dass der Begriff in der Regel ausschließlich personengebunden und häufig kognitiv reduziert angewandt wird, während er in der Soziologie zumeist lediglich metaphorisch verwendet und mitunter gar gesamt- und teilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen zugeschrieben wird. Der Band versammelt theoretische und empirische Herangehensweisen an Kompetenz aus soziologischer Sicht. Die Beiträge klären dabei auch die Frage nach dem Sinn und Nutzen des Kompetenzbegriffs als soziologische Kategorie, um dergestalt den Boden zu bereiten für eine dezidiert soziologische Kompetenzforschung”. Dewe weist in seinem Beitrag auf Seite 116 z.B. auf folgenden wichtigen Punkt hin: “Kontextunspezifische bzw.  sozialkontextfreie Kompetenzen kann es im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Verständnisses nicht geben. Wissen und der Kontext der Anwendung von Wissen sind nicht zu trennen. Es handelt sich vielmehr um emergente Prozesse, welche nicht nach einer seite hin zu bestimmen bzw. aufzulösen sind.” In meinem Promotionsvorhaben (Promotionsskizze) weise ich auf die Kontextabhängigkeit des Kompetenzkonstrukts hin und entwickle mit Hilfe des Konzepts der Multiplen Kompetenz einen ebenenübergreifenden Ansatz (Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk). Siehe dazu auch Kernkompetenzen als Emergenzphänomene.