Bitcoin: Es gibt jetzt eine deutsche Übersetzung des ursprünglichen Papers

Es ist wirklich erstaunlich, dass die ganze Bitcoin-Euphorie auf das Paper Satoshi Nakamoto (2008): Bitcoin: A Pee-to-Peer Electronic Cash System (PDF) zurückzuführen ist. Diese 8 Seiten haben eine Entwicklung angestoßen, die gerade die ganze Finanzwelt beschäftigt. Dabei ist unklar, wer Natoshi Nakamoto überhaupt ist, denn der Name ist ein Pseudonym – bis heute.

Nun werden englischsprachige Paper im deutschssprachigen Raum durchaus gelesen, doch ist es für die Masse der Menschen oft besser, wenn etwas in der eigenen Sprache vorliegt. Es ist daher sehr erfreulich, dass das Original-Paper jetzt in der deutschen Übersetzung vorliegt. Satoshi Nakamoto (2008): Bitcoin: Ein elektronisches Peer-to-Peer Bezahlsystem (deutsche Fassung des Originals, PDF).

Ob die verschiedenen Anbieter zu Bitcoins seriös oder weniger seriös sind, sei dahingestellt. Ich finde es dennoch bemerkenswert, dass Ideen, veröffentlicht in einem White-Paper dermaßen große Auswirkungen haben können – und das ist nicht nur bei Bicoins so. Leider geraten die ursprünglichen Ideengeber oft in Vergessenheit, oder werden absichtlich nicht erwähnt.

Denn die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht, und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht (Bertolt Brecht, Dreigroschenoper)

Free Innovation: Was wäre, wenn wir Innovationen stärker Bottom-Up denken und fördern würden?

Aktuell werden Ideen, Inventionen und Innovationen intensiv Top-Down gefördert, und damit gelenkt. Die Kreativwirtschaft (Ideen) bekommt ihren Anteil, die Forschung und Entwicklung (FuE und Patente), und Organisationen/Strukturen, die Innovationen auf den Markt bringen. Verbunden ist alles mit einem Preis-Verleih-Aktionismus, der auf organisationaler Ebene beginnt, und auf europäischer Ebene (erst einmal) endet. Diese grundsätzliche Denkweise (Paradigma), die auf Schumpeter zurückzuführen ist, ist so selbstverständlich geworden, dass wir kaum noch darüber nachdenken.

In den letzten Jahren wird allerdings zaghaft versucht, dieses Paradigma etwas zu öffnen. Dabei bezieht man sich oft auf Henry Chesbrough, der einen offenen Innovationsprozess in Organisationen befürwortet, und das dann Open Innovation nennt (Chesbrough 2003). Diese Perspektive ist deshalb so populär, da sie sich immer noch grundsätzlich daran orientiert, dass Innovationen von Unternehmen/Organisationen kommen. An dieser Stelle möchte ich weiterhin anmerken, dass die “Entgrenzung von Arbeit” – und den damit verbundenen Prozessen (auch Innovationsprozessen) – schon in den 1980er Jahren von Soziologen wie z.B. Beck (1986): Risikogesellschaft hervorgehoben wurde.

Der Top-Down-Perspektive auf Innovation stellt Eric von Hippel schon seit den 1980er Jahren eine Perspektive entgegen, die zeigt, dass Innovationen immer stärker von Anwendern/Usern entstehen. Diese User Innovation ist dabei nicht abhängig von Strukturen/Organisationen, sondern geschieht Bottom-Up. Eric con Hippels Studien haben gezeigt, dass es einen erheblichen Prozentsatz an Innovationen gibt, die in den klassischen Statistiken gar nicht auftauchen (vgl. dazu beispielsweise Eric von Hippel 2017:21). “Eventually, Kuhn writes, conflicts between the predictions of a reigning paradigm and real-world observations may become so pervasive or so important that they can no longer be ignored, and at that point, the reigning paradigm may be challenged by a new one (Kuhn 1962)” zitiert in Eric von Hippel (2017:11): Free Innovation.

Ich habe Eric von Hippel auf der MCPC 2007 am MIT in Boston, und Henry Chesbrough auf der MCPC 2011 in San Francisco erlebt (Konferenzen). Beide haben ihre Positionen vertreten, und auch viele erfolgreiche Beispiele und Studien zeigen können. Durch die Digitalisierung sind die Kosten für die Umsetzung eigener Ideen in Innovationen so niedrig geworden, dass meines Erachtens die Perspektive von Eric von Hippel deutlich an Schwung gewinnen wird. Unternehmen/Organisationen sollten diese Entwicklung beachten, und möglichst frühzeitig mit innovativen Personen kooperieren .

Individuell, für eine große Anzahl von Personen und kostengünstig weiterbilden? Wie soll das denn gehen?

In der aktuellen Diskussion zur beruflichen Bildung (Weiterbildung) geht es einerseits um die Möglichkeiten der Digitalisierung und andererseits auch um die Unterstützung individueller Lernprozesse im Sinne von Personalisierung. Dass es möglich ist, massenhaft, individuell und kostengünstig weiterzubilden, habe ich im Rahmen meines berufsbegleitenden Studiums zum Experten für neue Lerntechnologien (heute HFU Akademie, Wissenschaftliche Weiterbildung der Hochschule Furtwangen) schon in 2003 untersucht.

In meinem Paper Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung (PDF) habe ich zunächst dargestellt, dass es möglich ist, die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization auf den Bildungsbereich zu übertragen. Es ist möglich, massenhaft und dennoch individuell – zu vertretbaren Kosten – weiterzubilden.

Danach stellte sich gleich die Frage, wie das umgesetzt werden kann. Die klassische Antwort war: Mit Hilfe von Konfiguratoren und Learning Objects. Das ist zwar eine gute Idee, doch lernen nicht die Objekte, sondern die Menschen, eben Subjekte. Meine Überlegungen mündeten letztendlich in dem Vorschlag, die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner zu nutzen.

An dieser Stelle möchte ich weiterhin erwähnen, dass ich diese Gedanken auch auf der Weltkonferenz zu Mass Customization and Personalization MCPC 2003 vorgestellt habe: Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany [Download].

Eine etwas andere Perspektive auf den Bundesbericht Forschung und Innovation 2020

Der Bundesbericht Forschung und Innovation 2020 liegt nun vor, und kann als Gesamtdokumentation im PDF-Format heruntergeladen werden. Darüber hinaus stehen auf der Website auch verschiedene Auswertungen als Grafiken zur Verfügung. Der Bericht hat das Ziel, “forschungs- und bildungspolitische Ziele” darzustellen. Er hat also eine politische Perspektive, und erwähnt schon auf Seite 13: “Deutschland ist ein Innovationsland. Es gehört zu den führenden Innovationsnationen und attraktivsten Wirtschaftsstandorten weltweit”. Das war so, ist so, doch wird das auch in Zukunft so sein?

Möglicherweise sind wir in unserem Innovationsverständnis noch zu sehr in dem Mindset der Industriegesellschaft gefangen. Da der Begriff “Innovation” in seinen vielfältigen Facetten 1.508 mal vorkommt wäre es gut zu wissen, was, unter “Innovation” zu verstehen ist. Ich habe allerdings keine Beschreibung dazu gefunden.

Warum das wichtig sein kann, möchte ich kurz an einem Beispiel illustrieren: Wird Innovation nicht alleine auf Organisationen bezogen (wie es beispielsweise im Oslo Manual aus dem Jahr 2005, oder auch bei Chesbrough mit seiner Perspektive auf Open Innovation beschrieben wird), müssten auch Innovationen thematisiert werden, die Bottom-Up entstehen. Diese durch Eric von Hippel aufgezeigten Potenziale von Innovationen einzelner Personen werden in den einschlägigen Statistiken nicht berücksichtigt, obwohl sie signifikant zur Innovationsfähigkeit einer Nation beitragen. Ausführlich werden diese Zusammenhänge in Eric von Hippel (2005): Democratizing Innovation (PDF) erläutert.

Weiterhin möchte ich auf folgenden Satz im Vorwort eingehen: ” Wir brechen auf in eine Zeit der digitalen Souveränität für ein weiterhin starkes Deutschland und Europa”. Wenn wir erst jetzt in eine Zeit der digitalen Souveränität aufbrechen, ist es möglicherweise etwas spät, denn das “Öl der Zukunft sind Daten”. Diese Daten werden allerdings schon lange von Google, Amazon, Facebook, Microsoft abgegriffen. Ähnliche “Datenkraken” gibt es in China mit Alibaba, Tencent WeChat usw. In Europe schauen wir bewundernd zu, und unternehmen seit Jahren … wenig. Die bisherigen Initiativen beispielsweise für eine Europäische Cloud waren ernüchternd. Siehe dazu den Beitrag Die “europäische Cloud” ist eine Kopfgeburt, die nicht überleben wird (Gründerszene vom 31.10.2019).

Meines Erachtens gibt es in Deutschland mehr Innovationspreise von Bürgermeistern, Landräten, Ministerpräsidenten, Zeitschriften, Verbänden, Unternehmensberatungen, Branchen usw. als wirkliche Innovationen.

The Paradox of Choice – Why more is less

“Viel hilft viel”, oder “Je mehr desto besser” sind geläufige Meinungen, die in den Unternehmen kursieren. Das dem nicht so ist hat Barry Schwartz schon 2004 in seinem Buch The Paradox of Choice aufgezeigt. Barry weist nach, dass die Vielfalt des Angebots den Kunden oftmals überfordert (und er kauft nicht) und/oder der Kunde wählt aus dem ganzen Angebot ein Produkt oder eine Dienstleistung aus und ist danach unzufrieden – denn es gibt ja immer noch Alternativen, die der Kunde noch nicht geprüft hat (Varianten).

Anhand diverser Studien weist Schwartz nach, dass ein Zuwachs an Wohlstand die Menschen nicht froh, sondern eher depressiv macht. Trägt es zum Glück der Amerikaner bei, dass sich das Bruttoinlandsprodukt der USA in den vergangenen dreißig Jahren mehr als verdoppelte? Mitnichten. 14 Millionen Bürger weniger bezeichnen sich heute als “sehr glücklich”. Ein Grund, sagt Schwartz, sei die enorm gestiegene Wahlfreiheit in allen Bereichen des Lebens. Wer zwischen einer kaum zu überschauenden Zahl von Fernsehkanälen oder Joghurtmarken wählen muss, gewinnt nicht an Freiheit – wie in der Werbung suggeriert -, sondern erhöht nur seinen Stresspegel.

Denn je größer die Auswahl, umso höher die sogenannten Opportunitätskosten, die darin bestehen, dass man mit der Wahl zwangsläufig auf alle anderen Alternativen verzichtet. Kaum ist die neue Digitalkamera gekauft, fällt einem prompt ein noch günstigeres Sonderangebot ins Auge. Und da aufgrund einer Fehlkonstruktion der menschlichen Natur Verluste mehr schmerzen als Gewinne freuen, ist die Enttäuschung programmiert. Diese Erkenntnisse sollten Unternehmen zu denken geben, denn es geht hierbei nicht einfach um eine psychologische Spitzfindigkeit, sondern um das Betriebsergebnis und somit auch um die Rendite. Barry klassifiziert die Kunden in “Mazimizer“, die immer nach dem besten Produkt, der besten Dienstleistung streben, und den “Satisficer“, die mit der getroffenen Entscheidung für ein Produkt oder eine Dienstleistung leben können.

Seien Sie also ein “Satisficer” und leben Sie mit den getroffenen Entscheidungen, dann sind Sie auch zufriedener. Darüber hinaus hilft Mass Customization, Produkte und Dienstleistungen kundenindividuell und kostengünstig herzustellen.

Mass Customization? Was ist das denn?

Zunahme der Variantenvielfalt

Dem Trend zur Globalisierung und Individualisierung (Strukturwandel) begegnen die Unternehmen noch oft mit der Erhöhung der Vielfalt (Variantenproduktion), wodurch die Auswahlmöglichkeit für den Kunden zwar erweitert wird, der Kunde aber oftmals nicht das bekommt, was er haben möchte (The Paradox of Choice). Die Abbildung zeigt exemplarisch auf, wie sich der Trend zur Variantenproduktion in verschiedenen Branchen bemerkbar macht.

Die Zunahme der Variantenvielfalt führt die Unternehmen in eine Kompexitätsfalle, da nicht alle angebotenen Varianten verkauft werden können und nur noch wenige Produkte/Dienstleistungen wirtschaftlich sind. Die Automobilindustrie beispielsweise flüchtet um Kosten zu sparen in die sogenannte “Plattformstrategie” und bemerkt erst langsam, dass man dadurch an Markenimage verliert. Die Reaktionen der Unternehmen auf den Trend zur Individualisierung basieren sehr oft auf der generischen Wettbewerbsstrategie von Porter.

Diese Wettbewerbsstrategie schließt allerdings genau das aus, was Mass Customization ermöglicht: Die kundenindividuelle Massenproduktion als sogenannte hybride Wettbewerbsstrategie. Unternehmen und auch Kunden stehen Mass Customization manchmal abwehrend gegenüber. Der Satz: “Wenn Du etwas individuelles haben willst, dann musst Du dafür mehr bezahlen” wird von vielen Kunden immer noch als eine Art Gesetzmäßigkeit gesehen.

Mit B. Joseph Pine II und seinem Buch “Mass Customization – The Future in Business Competition” ist 1993 der Durchbruch gelungen. In Deutschland hat dann Frank Piller 1998 mit seiner Veröffentlichung “Kundenindividuelle Massenproduktion” dazu beigetragen, dass Mass Customization auch in Deutschland bekannt wurde. Die Entwicklung ist seither rasant (Auswahl):

1971: Toffler “Future Shock” > Aufzeigen der Möglichkeiten

1987: Davis “Future Perfect” > Begriff “Mass Customization”

1993: Pine “Mass Customization” > MIT-Studie

1998: Piller “Kundenindividuelle Massenproduktion”

Die verschiedenen Welt-Konferenzen seit 2001 in Hong Kong (MCPC 2001), an der ich teilgenommen habe, zeigen die rasante Entwicklung.

Siehe dazu auch Freund, R. (2009): Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass Customization). RKW Kompetenzzentrum, Faktenblatt 5/2009.

Anmerkungen zum Grazer Innovationsmodell

Innovationen sind in der heutigen Zeit wichtiger denn je, doch hat sich das Management von Innovation (wie auch andere Managementansätze) erheblich verändert. Die Veröffentlichung Lercher, H. (2019): Big Picture Das Grazer Innovationsmodell (Big Picture the Innovation Model) (als PDF verfügbar) stellt ein recht umfangreiches Bild (Big Picture) eines Modells dar, an dem sich gerade mittelständische Unternehmen sehr gut orientieren können.

Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch weitere Anregungen zum Thema geben:

Nachhaltiger Wettbewerbsvorteil: Ausgangspunkt ist die Definition (S. 21) „Innovationen sind erfolgreich in nachhaltige Wettbewerbsvorteile oder Umsätze umgewandelte Ideen“, die ohne Quellenangabe ist und schon einige Fragen aufwirft: Was bedeutet erfolgreich?  Wann kann der nachhaltige Wettbewerbsvorteil nachgewiesen werden? 

Wirkungsnetz: Ein Big Picture reduziert zunächst die immanente Komplexität des Innovationssystems und hilft gerade mittelständischen Unternehmen Handlungsoptionen abzuleiten. Meines Erachtens wäre es besser, ein Wirkungsnetz mit verschiedenen Einflussfaktoren unternehmensspezifisch zu erarbeiten, und Generatoren für das Management dieses Systems abzuleiten. Solche Verfahren gibt es auch schon für andere komplexe Managementsysteme. 

Open Innovation: Weiterhin kommt das Thema “Open Innovation” etwas zu kurz. Hier verweist der Autor nur auf die Interpretation von Chesbrough, der den Fokus auf der Öffnung des Innovationsprozesses von Unternehmen/Organisationen sieht. Die Perspektive “Open Innovation” eher Bottom-Up zu interpretieren, kommt nicht vor. Solche Gedanken hat Eric von Hippel in seinen Veröffentlichungen sehr ausführlich – auch in der Umsetzung zusammen mit Unternehmen – dargestellt (Siehe dazu auch diesen Blogbeitrag).

KI und Innovation: Nicht zuletzt müssen wir heute auch neue technologische Entwicklungen mit einbeziehen, wenn wir über den Umgang mit Innovationen sprechen. In meiner Special Keynote auf der MCPC 2015 in Montréal habe ich mich mit diesen Möglichkeiten auseinandergesetzt.

Siehe dazu Freund, R. (2016): Cognitive Computing and Managing Complexity in Open Innovation Model. Bellemare, J., Carrier, S., Piller, F. T. (Eds.): Managing Complexity. Proceedings of the 8th World Conference on Mass Customization, Personalization, and Co-Creation (MCPC 2015), Montreal, Canada, October 20th-22th, 2015, pp. 249-262 | Springer.

The World Competitiveness Report 2018

Nun ist er da, der World Competitiveness Report 2018, herausgegeben von Klaus Schwab. World Economic Forum. Überschwängliche Reaktionen darauf lassen nicht lange auf sich warten. Der Spiegel titelt beispielsweise Deutschland ist Innovationsweltmeister (SPON vom 17.10.2018) undf feiert die genannten Patentanmeldungen. Nur: Patentanmeldungen sind keine Innovationen. Diese Vermischung von Vorstufen von Innovationen und Innovationen ist bei Redakteuren oft zu finden. Die Anzahl der Patente ist eher ein Indiz des Industriezeitalters, wobei die Definition von Innovation sich oftmals an dem Oslo Manual aus dem Jahr 2005 orientiert. In dynamischen Märkten entwickeln sich Innovationen Bottiom-Up – siehe dazu ausführlich Eric von Hippel (2016): Free Innovation –  wobei diese Innovationen dann gar nicht in den Statistiken auftauchen.